Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
398 Gegenwartsliteratur – mit Österreichschwerpunkt Das Unheimliche als Thema der Literatur Eine alte österreichische Tradition Die Darstellung des Unheimlichen, Phantastischen und Bedrohlichen sind traditionelle Themen der österrei chischen Literatur schon seit dem 19. Jahrhundert. Hal luzinationen und Wahnvorstellungen und die Ent deckung eines Doppelgängers prägen das Leben der Hauptfigur des Romans „Der Golem“ von Gustav Mey rink (1868–1932). Der Roman „Die andere Seite“ von Al fred Kubin (1877–1959) vermischt Traum, Albtraum, Märchen und Wirklichkeit ebenso wie Leo Perutz (1882–1957) in seinem Roman „Der Meister des jüngs ten Tages“. – Unheimliches, Unbegreifliches und der Verlust der Kontrolle über die Realität charakterisieren auch viele Texte der neuesten österreichischen Litera tur. Häufig wird der Einfluss Franz Kafkas spürbar, wie zum Beispiel im Band „Die Kinder beruhigte das nicht“ (25) von Alois Hotschnig (*1959). Der ebenfalls 2006 erschienene Roman „Die Arbeit der Nacht“ von Thomas Glavinic (*1972) kommt mit einer einzigen Fi gur aus, einem 35-jährigen Wiener namens Jonas, der an einem 4. Juli aufwacht und erkennen muss, dass er das einzige lebendige Wesen in der Stadt Wien ist und auch außerhalb Österreichs. Allein auf der Welt zu sein, das ist eine Katastrophe, der Mensch braucht den Menschen. So nimmt Jonas dazu Zuflucht, dass er sich in ausgeklügelten, immer monströseren Versuchsan ordnungen selbst filmt und so ein virtuelles Gegen über, den „Schläfer“, erschafft. Ferdinand Schmalz (*1985), Gewinner des Ingeborg-Bachmann-Preises von 2017, erzählt in „mein lieblingstier heißt winter“ vom Todesplan des Dr. Schauer, bei dem eine Gefriertruhe eine große Rolle spielt (26) . Die „Neue Subjektivität“ Wie bleibt man ein Ich? Eine charakteristische Strömung der Gegenwartslite ratur ist die „Neue Subjektivität“. Ihr Thema ist die Fra ge, wie man in einer Gesellschaft, in welcher der Ein zelne unter dem Aspekt der Funktionalität und Aus tauschbarkeit gesehen wird, als selbstbestimmtes In dividuum existieren kann. Verbunden ist diese „Neue Subjektivität“ in Deutschland vor allem mit Botho Strauß (*1944). Strauß’ Werk „Paare Passanten“ (1981) zeigt die Leere der Beziehungen, die zum „Ver- kehrsfluss“ degradiert sind. Das Schreiben dient der „Neuen Subjektivität“ als Versuch, sich von der „ver- fluchten Passanten-Welt“ abzugrenzen, in der alle nur aneinander vorbeihasten. Diese Abgrenzung gelingt nur, wenn man nicht mittut. Allerdings wird man dann zum „Gegenwartsnarr“ und „Versprengten“ . So sieht sich zumindest Botho Strauß. Der hervorragendste Vertreter dieser Literatur ist ohne Zweifel Peter Hand- ke . Der Roman „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ soll als Lesebeispiel dienen (27) . Der Leseraum 1 „In Sätzen steckt Obrigkeit.“ Peter Handke: „Wunschloses Unglück“ (1972) Handke, der Provokateur Wenige Schriftsteller erregen bis heute ähnliches Auf sehen wie Handke. Schon seine frühesten Texte, wie die Theaterstücke „Publikumsbeschimpfung“ (1966) oder „Kaspar“ (1968), provozierten. Als politisch beson ders provokanter Text wurde Handkes Reisebericht „Gerechtigkeit für Serbien – Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina“ aus dem Jahr 1996 aufgefasst. Handke stellte sich im Zuge der Kriege im zerfallenden Jugoslawien auf die Seite Ser biens, um ein Gegengewicht zu bilden gegen die sei ner Ansicht nach pauschale Diffamierung des Landes. Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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