Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

396 Gegenwartsliteratur – mit Österreichschwerpunkt chische Zerstörung der Tochter durch ihre Mutter, als „Inquisitor und Erschießungskommando in einer Per- son“ vorgestellt, ist das Thema von Elfriede Jelineks 1983 erschienenem Roman „Die Klavierspielerin“ (12) . Waltraud Anna Mitgutsch (*1948) schildert in ihrem Roman „Die Züchtigung“ (1985) über drei Generatio­ nen hinweg die Ausweglosigkeit von Frauen, welche den Druck der Gesellschaft auf ihre Tochter weiterge­ ben, ihre persönlichen und sozialen Niederlagen auf die Tochter projizieren und sie zum Hoffnungsobjekt für ihre enttäuschten Wünsche degradieren. „Das Kind musste ihr [der Mutter] heraushelfen aus dem Elend ihrer Ehe und ihres ganzen Lebens, das Kind […] würde ihr nicht nur die Liebe geben, nach der sie schon seit fünfundzwanzig Jahren hungerte […]. Durch dieses Kind würde sie es doch noch schaffen“ , heißt es in „Die Züchtigung“. Wenn es um die Väter geht, so sind diese kaum mehr die Tyrannen, als die sie zum Beispiel in den Werken Franz Kafkas erscheinen. Viel eher sind die Väter real oder emotional aus den Familien ver­ schwunden, die Töchter auf der Suche nach ihnen. Symptomatisch dafür ist Brigitte Schwaigers „Vater­ buch“ mit dem Titel „Lange Abwesenheit“ (1980). Die Beziehung zum Vater ist auch Thema geworden im Roman „Nackte Väter“ (1999) von Margit Schreiner (*1953). Schreiner verfolgt den Lebenslauf des toten Vaters von dessen Tod zurück. Zentrum der Darstellung ist seine Hilflosigkeit als Alzheimer-Patient, Symbol seine Nacktheit, die er nicht mehr wahrnimmt. Als ein­ zige materielle Erinnerung bleibt der Ich-Erzählerin das Gebiss des Vaters. Beziehungen und Hoffnungen Die Benachteiligung von Frauen in der Arbeits- und Männerwelt ist der Gegenstand von Elfriede Jelineks Roman „Die Liebhaberinnen“ (1975). Die Frau muss sich auf einen zweifachen Markt werfen, den Arbeits­ markt und den Heiratsmarkt. Die Frau wird zur Ware, die sich bestmöglich verkaufen muss, denn „gebrauch- te frauen werden selten, und wenn, dann nur vom erst- verbraucher genommen“ . Die einzige Perspektive für die Frauen, aus der monotonen, schlecht bezahlten Arbeit wegzukommen, ist die Ehebeziehung: „viele nä- herinnen scheiden aus durch heirat, kindesgeburt oder tod. brigitte hofft, dass sie einmal durch heirat und kin- desgeburt ausscheiden wird. alles andere wäre ihr tod. auch wenn sie am leben bleibt.“ Aber meist ist auch die Ehe eine Enttäuschung: „oft heiraten diese frauen oder gehen sonst wie zugrunde“ , merkt Jelinek provozierend an. Die Themen Frauenarbeit und Beziehungen be­ stimmen auch den Roman „Jessica, 30.“ von Marlene Streeruwitz (*1950). Es geht dabei um eine junge Aka­ demikerin, die als „freie Mitarbeiterin“ bei einer Frau­ enzeitschrift werkt, auf die Heuchelei der Medien und Politik stößt und auszubrechen versucht (13) . Geld, Macht und Erfolg Scharfe Kritik üben zahlreiche Autorinnen an einer Ge­ sellschaft, in der, wie sie es sehen, das Geld als neue Gottheit regiert und gerade die Frauen von Wirtschaft und Werbung ausgenützt werden. In den Texten von Kathrin Röggla (*1971), wie „Abrauschen“ und „wir schlafen nicht“ (2004), agieren keine Individuen mehr. Dort leben und kollabieren die „it-supporters“ , „start- up-bürschchen“ , „key-account-manager“, die „a-perso- nen“ bis „c-menschen“ der New-Economy zwischen „short-sleeping“ , „quick-eating“ , „business-class-geflie- ge“ . Die Menschen sind verbrauchbare Rohstoffe: „hu- man ressources“ . In dem 2009 erschienenen Erzähl­ band „Macht euch keine Sorgen“ von Lydia Mischkul- nig (*1963) präsentiert sich „Die Firma“ als Menschen und besonders Frauen verschlingendes Ungeheuer (14) . Die 2010 unter dem Titel „Leichten Herzens“ (15) publizierten Texte von Barbara Aschenwald (*1982) zei­ gen, wie geschickt ein zerstörerisches System von Macht und Geld agiert: „Den Menschen die Luft zum Atmen nehmen und sie ihnen dann verkaufen, weil im- merhin müssen sie atmen. Den Menschen einen Man- gel schaffen und ein Bewusstsein dafür und sie dann von diesem Mangel erlösen.“ Wohin der Druck führt, stets erfolgreicher als die anderen zu sein und die Mit­ menschen als Konkurrenten zu sehen, zeigt der 2008 publizierte Roman „Kollateralschaden“ (16) von Olga Flor (*1968). In einem Supermarkt kreuzen sich zufällig die Wege eines Jugendlichen, einer populistischen Po­ litikerin, eines Journalisten und eines Rentners. Dann fließt Blut. Fassen Sie die Diskussion um den Begriff „Frauenliteratur“ und deren Themen zusammen. Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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