Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
395 Gegenwartsliteratur – mit Österreichschwerpunkt „Frauenliteratur“ Literatur von Frauen für Frauen und Männer 1981 erscheint unter dem Titel „Auf/Schrei/ben“ im Wiener Frauenverlag eine Anthologie mit ausschließ lich von Frauen geschriebenen Texten. „AUFSCHREIE und AUFGESCHRIEBENES“ , so die Herausgeberin Elfrie de Haslehner, sollte dieser Band präsentieren. Hasleh ners Anliegen ist charakteristisch für eine Literatur, die oft mit dem Begriff „Frauenliteratur“ bezeichnet wird und ab den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts große li terarische Aufmerksamkeit erlangt. Kennzeichen na hezu aller dieser Texte ist, dass sie in der persönlichen Erfahrung und Betroffenheit der Autorinnen wurzeln. Barbara Frischmuth, eine der in den 70er- und 80er-Jah ren erfolgreichsten Vertreterinnen der österreichi schen „Frauenliteratur“, sieht den Zusammenhang zwischen persönlicher weiblicher Erfahrung und Schreiben als neue literarische Herausforderung: „Das Experiment besteht für mich darin, zu sehen, was dabei herauskommt, wenn Frauen schreiben, wenn sie ihr Ge- schlecht und den dadurch geprägten Sehakt in die Literatur einbringen.“ Die Aspekte dieses „weiblichen Sehaktes“ sind vielfältig. Zum Thema werden die Su che nach weiblicher Selbstbestimmung, die Darstel lung der weiblichen Sexualität, die Kritik an den Er ziehungsinstitutionen wie Schule und Familie oder die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt. Des halb ist die von Frauen verfasste Literatur häufig ge prägt von autobiografischen Elementen, von Aufklä rung oder Abwehr. Sie richtet sich gerade deshalb nicht nur an die Frauen, sondern gerade auch kritisch an die Männer. „Frauenliteratur“: kein unumstrittener Begriff Manche Autorinnen wollen ihre Werke nicht als „Frauenliteratur“ bezeichnet sehen. Sie lehnen den Begriff ab mit dem Hinweis, dass kaum jemand auf die Idee käme, von einer „Männerliteratur“ zu spre chen. Für sie gibt es eine von Männern geschriebene Literatur und eine von Frauen geschriebene. Beide sind so vielfältig, dass man sie nicht mit einer simpli fizierenden Etikette bekleben dürfe. Manche Autorin nen bemängeln überdies, dass mit diesem Begriff die persönliche Situation der Autorinnen als interessan ter wahrgenommen werde als die literarische Quali tät der Werke. Die Befürworterinnen betonen, dass der Begriff auf die lange Ausgrenzung der Frauen aus der Literaturgeschichte hinweisen soll. Deshalb müsste der Begriff so lange verwendet werden, bis es nicht mehr nötig ist, von „Frauenliteratur“ zu spre chen, da sowohl das Schreiben von Frauen als auch die darin thematisierten Anliegen dann als akzep tiert gelten können. Im literarischen Vorfeld: Ingeborg Bachmann und Marlen Haushofer Obwohl sich Ingeborg Bachmann selbst nie als Femi nistin bezeichnet, sich politisch von der Frauenbewe gung der 70er-Jahre sogar distanziert hat und sich ihre Texte nicht als unmittelbar autobiografisch lesen las sen, wurden vor allem ihre späten Erzählungen rich tungsweisend für das Schreiben der jüngeren Autorin nen. Bachmann beschreibt die Zurichtung von Frauen durch die patriarchale Gesellschaft, von Bachmann als „Immer-Krieg-Gesellschaft“ bezeichnet. Besonders deutlich wird die Dominanz des Mannes über die Frau in den Prosa-Werken „Malina“ (1971), „Simultan“ (1972) und in dem unvollendeten Werk „Der Fall Franza“, das die Verdinglichung einer Frau zum Forschungsobjekt ihres Mannes darstellt. Der Psychiater Leo Jordan ver nichtet seine Frau Franza, indem er ihre Psyche bis ins kleinste Detail seziert. Ihrer Würde und Individualität beraubt, setzt Franza ihrem Leben selbst ein Ende. Als eine weitere Wegbereiterin der österreichischen „Frau enliteratur“ wird Marlen Haushofer (1920–1970) ange sehen. Die Ich-Erzählerin ihres Romans „Die Wand“ (1963) findet sich an einemWochenende mit Freunden im Gebirge plötzlich durch eine unerklärliche gläserne Wand von der Außenwelt abgetrennt. Ihre Bekannten sind nach einem Gang ins Dorf wie vom Erdboden ver schluckt. Auf sich allein gestellt, schildert sie in Form eines Erinnerungsberichtes ihre Anstrengungen, ihren Alltag zu organisieren und ohne Menschen zu überle ben. Sie lebt mit Tieren, die ihr zulaufen – einem Hund, ein paar Katzen, einer trächtigen Kuh, die einen Stier wirft –, bis zu einem traumatischen Geschehen im zweiten Sommer: Ein aggressiver Mann erschlägt den Stier und den zu Hilfe laufenden Hund. Sie erschießt den Mann mit ihrem Jagdgewehr, ihr Schicksal bleibt offen. Die Mütter und die Väter Eines der großen Themen der Frauenliteratur ist die Darstellung der Erziehungsproblematik: Wie werden Mädchen auf ihre Rolle in der Gesellschaft vorbereitet, welche Rollen sollen sie spielen? Die wichtigste Erziehungsinstitution ist zunächst die Familie. Die psy Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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