Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
394 Gegenwartsliteratur – mit Österreichschwerpunkt FC St. Pauli aus Hamburg. Kaiser möchte laut Inter view einfach „Geschichten erzählen, die glücklich machen“. Österreichkritik im Aufmerksamkeitsboom Die literarische Kritik an Politik und Staat hatte bisher meist nur die zahlenmäßig geringen Schichten der Theaterbesucher und tatsächlichen Leserinnen und Leser erreicht. Die Kritik, die Autoren und Autorinnen wie Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek in ihren Werken äußern, ereiferte jedoch nahezu die gesamte Öffentlichkeit. Leser- und Nicht-Leser, Medien und die Politik nahmen Stellung – zumeist negativ. Leserbrief seiten strotzten von Vokabeln wie „Nestbeschmutzer“, „Vernaderer“, „Gesindel“. Es hagelte „Ratschläge“, wie gut aufgehoben Thomas Bernhard in der Psychiatrie sei. Eine sachliche Auseinandersetzung mit der litera rischen Arbeit fehlte meist. Mit dem Roman „Aus- löschung“ von Thomas Bernhard (1931–89) (10) wird Ihnen diese kritische Literatur erläutert. Dunkle Schatten der Vergangenheit Ein wichtiges Thema der österreichischen Gegen wartsliteratur bleiben die Auseinandersetzung mit dem österreichischen Nationalsozialismus und den Ereignissen nach dem sogenannten „Anschluss“ Öster reichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 und das Noch- und Wiederaufleben der NS-Ideologie bei man chen Menschen. Autoren wie Erich Hackl (*1954) geht es darum, vergessenen Opfern des Faschismus eine Stimme zu geben, und Verbrechen, die bis heute ver schwiegen werden, bekannt zu machen. Die meisten Bücher Hackls sind dokumentarische Berichte. So schreibt er in „Abschied von Sidonie“ über die Vernich tung eines Roma-Mädchens aus Steyr durch die NS-Diktatur und führt mit seiner Erzählung „Familie Salzmann“ (2010) in die österreichische Gegenwarts gesellschaft, in der alte Vorurteile dazu dienen, Men schen aus dem Leben zu boxen. Weil er erwähnt hat, dass seine Großmutter im KZ Ravensbrück ermordet wurde und sein Familienname „jüdisch“ klingt, wird Hanno Salzmann als „Buchenwald-Bubi“ verhöhnt und aus seiner Stelle gemobbt. Aber auch geradezu Hel denhaftes gibt es zu berichten. Hackls Buch „Am Seil“ (2018) stellt den nach Wien gezogenen Berliner Hand werksgesellen Reinhold Duschka in den Mittelpunkt. Er versteckt zwei Jüdinnen, die 12-jährige Lucia und ihre Mutter Regina, noch am Tag der Räumung ihres Hauses für vier Jahre in seiner Werkstatt und rettet sie so vor dem Tod. ImMittelpunkt des siebenteiligen Romanzyklus „Die Ar chive des Schweigens“ (1977–91) von Gerhard Roth (*1942), insbesondere der Bände „Der Stille Ozean“ und „Die Geschichte der Dunkelheit“, steht ebenfalls die Auf arbeitung der Vergangenheit im heutigen Österreich. Roth stellt, anhand von Beobachtungen eines in ein südsteirisches Dorf ziehenden Arztes, eine Provinz der Aggressivität, der Tollwut, des Mordes und der geblie benen NS-Ideologie vor. Als „ein Verbrechen-Aufdecken, das hinter der Sprache liegt“ , bezeichnet der Autor seine Arbeit. Ihm geht es darum, „einen Roman über Öster- reich zu schreiben, über den offen liegenden Wahnsinn der österreichischen Geschichte und den versteckten des österreichischen Alltags.“ Dieses „Verbrechen-Aufde cken“ und, wie ein Rezensent schreibt, „das blutgetränk te Tischtuch des Schweigens zu zerfetzen“, ist auch das Thema von Josef Winklers 2018 publiziertem Roman „Laß dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe“ (11) . Wie weit der Variationsrahmen ist, inner halb dessen sich die österreichische Gegenwartslitera tur mit den Themen Krieg und NS-Zeit befasst, zeigt der ebenfalls Anfang 2018 erschienene Roman „Unter der Drachenwand“ von Arno Geiger (*1968). In diesem am Mondsee situierten Werk erzählt Geiger mit der Zentral figur des an der Ostfront schwer verwundeten 24-jähri gen Veit Kolbe, der 1944 in Mondsee seinen Genesungs urlaub verbringt, von zerbombten Städten, Landver schickungen, welche die Kinder der Städte retten sol len, und den Bemühungen um Liebe. Er berichtet von jenen, die, wie Kolbe, den Krieg überleben, von den Ver missten, Ermordeten, Opportunisten und von der unter dem Druck der Eltern und einer strengen Lehrerin ver schollenen, „unter der Drachenwand“ Monate später tot aufgefundenen 13-jährigen Nanni, der die Liebe verbo ten war. Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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