Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

37 Hochmittelalter (1170–1250) Der NS-Politiker Göring, der den Untergang einer gan­ zen Armee in Stalingrad im Winter 1942/43 in den „größten Heroenkampf unserer Geschichte“ umfälsch­ te: „Wir kennen ein gewaltiges Heldenlied von einem Kampf ohnegleichen, es heißt ,Der Kampf der Nibelun- gen‘. Auch sie standen in einer Halle voll Feuer und Brand, löschten den Durst mit dem eigenen Blut, aber sie kämpften bis zum Letzten. Ein solcher Kampf tobt heute dort, und noch in tausend Jahren wird jeder Deut- sche mit heiligem Schauer von diesem Kampf in Ehr- furcht sprechen und sich erinnern, dass dort trotz allem Deutschlands Sieg entschieden worden ist.“ Der Germanist Joachim Bumke, einer der besten Ken­ ner des Textes: Das Nibelungenlied „liefert ein bedrü- ckend negatives Gesellschaftsbild. […] Positive Gegen- kräfte sind nicht zu erkennen. Mord, Betrug, Hass, Ra- che, Machtgier und Hinterlist bestimmen die Handlung vom Anfang bis zum Schluss.“ Name, Entstehungszeit und Stoff „Nibelung“ ist zunächst der Name des dämonischen Be­ sitzers eines Riesenschatzes, nach ihm heißen Schatz, Land und Gefolgsleute. Der Held Siegfried übernimmt diesen Namen, als er Herr des Schatzes wird. Nach dem Tod Siegfrieds geht die Bezeichnung auf die Burgun­ derkönige über. Der Name dürfte mit „Nebel“ zusam­ menhängen und wird auf der ersten Silbe betont. Das Nibelungenlied ist im ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhun­ derts entstanden. Der Dichter ist unbekannt. Textbezü­ ge auf Passau und die genaue Kenntnis des österreichi­ schen Donauraums bis Wien lassen vermuten, dass er aus dieser Gegend stammt. Der Dichter hat zwei münd­ lich überlieferte, von „Spielleuten“ gesungene Stoffkrei­ se kombiniert: den Themenkreis um Siegfried und sei­ nen Tod und die Sagen um den Untergang der Burgun­ der. Die Sagen um die Burgunder gehen auf reale Ereig­ nisse der Völkerwanderung zurück. Die Hauptpersonen und ihr historischer Hintergrund Brünhild: Königin von Island, heiratet nur den Mann, der sie im Wettkampf besiegt; stolz, verletzlich. Dietrich von Bern: Held am Hofe Etzels, historische Verbindungen zum Langobardenfürsten Theoderich (451–526) sind wahrscheinlich; vorbildhafter Ritter. Etzel: Hunnenkönig. Als Attila historisch bezeugt (um 410–453); überrennt als „Geißel Gottes“ Europa mit sei­ nen Reitertruppen; im Nibelungenlied um Ausgleich bemüht. Gunther: Burgunderkönig, Kriemhilds Bruder, Gemahl Brünhilds. Führt den Burgunderzug zu Etzel an, wird dort wie alle anderen getötet; Taktierer um Macht und Liebe. Der historische Gundaharius wurde 436 von rö­ mischen und hunnischen Truppen geschlagen, Tausen­ de Burgunder wurden getötet. Hagen von Tronje: treuer Gefolgsmann Gunthers, Machtpolitiker. Hagen rächt die Schande, die Siegfried Brünhild angetan hat, und tötet ihn. Hildebrand: Waffenmeister Dietrichs, scheitert in sei­ nen Bemühungen, die Katastrophe zu verhindern. Kriemhild: Schwester Gunthers, Gernots und Gisel­ hers; durch Hochzeit mit Siegfried Königin der Nibe­ lungen: naiv, starrsinnig. Historisches Vorbild ist mög­ licherweise die bayrische Herzogstochter Gisela, die als Elfjährige denselben Weg die Donau hinab zu ih­ rem künftigen Gatten reiste wie Kriemhild. Rüdiger von Bechelaren: vorbildlicher Ritter, Brautwer­ ber Etzels. Siegfried: Drachentöter, Herr des Nibelungenschatzes, bis auf eine Stelle an der Schulter unverwundbar; mit seiner Tarnkappe hilft er Gunther, Brünhild im Wett­ kampf und in der Hochzeitsnacht zu besiegen. Die Form Das Nibelungenlied besteht aus 39 „âventiuren“ und ist, im Gegensatz zur höfischen Epik, in Strophen ge­ gliedert. Diese Form weist darauf hin, dass der Text zum mündlichen Vortrag bestimmt war. Strophen wa­ ren leichter zu merken als ein durchgehender Text. Carl Otto Czeschka, Der Nibelungen Ende, Farblithografie, 1908 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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