Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
357 Literatur zwischen 1945 und 1968 Latrine Über stinkendem Graben, Papier voll Blut und Urin, umschwirrt von funkelnden Fliegen, hocke ich in den Knien, den Blick auf bewaldete Ufer, Gärten, gestrandetes Boot. In den Schlamm der Verwesung klatscht der versteinte Kot. Irr mir im Ohre schallen Verse von Hölderlin. In schneeiger Reinheit spiegeln Wolken sich im Urin. Geh aber nun und grüße die schöne Garonne. Unter den schwankenden Füßen schwimmen die Wolken davon. Das von Hölderlin nach seiner Rückkehr aus Bordeaux, wo er kurz als Hauslehrer tätig war, verfasste Gedicht, das Eich „im Ohr schallte“: Andenken (1804) Der Nordost wehet, Der liebste unter den Winden Mir, weil er feurigen Geist Und gute Fahrt verheißet den Schiffern. Geh aber nun und grüße Die schöne Garonne, Und die Gärten von Bordeaux Dort, wo am scharfen Ufer Hingehet der Steg und in den Strom Tief fällt der Bach, darüber aber Hinschauet ein edel Paar Von Eichen und Silberpappeln […]. Es reiche aber, Des dunkeln Lichtes voll, Mir einer den duftenden Becher, Damit ich ruhen möge; denn süß Wär unter Schatten der Schlummer. Nicht ist es gut, Seellos von sterblichen Gedanken zu sein. Doch gut Ist ein Gespräch und zu sagen Des Herzens Meinung, zu hören viel Von Tagen der Lieb, Und Taten, welche geschehen. ■■ Beschreiben Sie die Situation, die Beobach tungen, Gedanken, Assoziationen des lyrischen Ich in „Latrine“ und vergleichen Sie diese mit den Erinnerungen und Wünschen in „Andenken“. ■■ Bestimmen Sie in „Latrine“ diejenigen „Vokabel“, welche in „traditioneller“ Lyrik keinen Platz hätten. 3 „Der den Tod auf Hiroshima warf, ging ins Kloster.“ Marie Luise Kaschnitz: „Hiroshima“ (1958) Kein Ausweichen Dass nach 1945 kein Gedicht mehr ein „guter“ Text sein könne, wenn nicht die vorausgegangenen Katastro phen und die künftigen Gefährdungen zur Sprache kommen, das ist die Meinung von Marie Luise Kasch nitz. Überdies sei es unmöglich, diesen existenziellen Fragen auszuweichen und vor allem Begriffe wie Tod zu vermeiden. Das Gedicht „Hiroshima“ gehört zu den berühmtesten „Warngedichten“ der Zeit. 2 4 6 8 10 12 14 16 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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