Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

333 Literatur zwischen 1925 und 1945 Joseph Roth im Café Le Tournon Paris, Foto, um 1938 Roth in seinem Roman „Radetzkymarsch“ über drei Generationen hinweg schildert. In der (realen) Schlacht von Solferino 1859 hatte der (fiktive) Leut­ nant Trotta, der berühmteste Spross der Familie, Kai­ ser Franz Joseph das Leben gerettet und war dafür geadelt worden. „Radetzkymarsch“ endet im Jahr 1916, dem Todesjahr des Kaisers, und dokumentiert somit den Glanz und den Niedergang des Habsburgerrei­ ches. „Die Kapuzinergruft“, betitelt nach der Begräb­ nisstätte der Habsburger in Wien, schließt direkt an „Radetzkymarsch“ an. Der „Geist der Monarchie“ Kurz vor Kriegsausbruch unternimmt Franz Ferdinand von Trotta eine Reise durch die Monarchie. Was ihn da­ bei beeindruckt, sind die Elemente, welche die ver­ schiedenen Völker verbinden, auch wenn das Gemein­ same manchmal vielleicht nur oberflächlich ist. Trotta erzählt: Ich spreche vom missverstandenen und auch missbrauchten Geist der alten Monarchie, der da bewirkte, dass ich in Zlotogrod ebenso zu Hause war, wie in Sipolje, wie in Wien. Das einzige Kaffeehaus in Zlotogrod, das Café Habsburg, gelegen im Parterre des Hotels zum Goldenen Bären, in dem ich abgestiegen war, sah nicht anders aus, als das Café Wimmerl in der Josefstadt, wo ich gewohnt war, mich mit meinen Freunden am Nachmittag zu treffen. Auch hier saß hinter der Theke die wohlvertraute Kassiererin, so blond und so füllig wie zu meiner Zeit nur die Kassiererinnen sein konnten, eine Art biedere Göttin des Lasters, eine Sünde, die sich selbst preisgibt, indem sie sich nur andeutet, lüstern, verderblich und geschäfts- tüchtig lauernd zugleich. Desgleichen hatte ich schon in Agram, in Olmütz, in Brünn, in Kecske- met, in Szombathely, in Ödenburg, in Sternberg, in Müglitz gesehen. Die Schachbretter, die Domino­ steine, die verrauchten Wände, die Gaslampen, der Küchentisch in der Ecke, in der Nähe der Toiletten, die blaugeschürzte Magd […] und die Tarockspieler mit den Kaiserbärten und den runden Manschetten, die sich jeden Tag pünktlich um die gleiche Stunde versammelten: all dies war Heimat, stärker als nur ein Vaterland, weit und bunt, dennoch vertraut und Heimat: die kaiser- und königliche Monarchie. Der Bezirkshauptmann Baron Grappik und der Oberst der Neuner Dragoner Földes, sie sprachen beide das gleiche näselnde […] Deutsch der besseren Stände, eine Sprache, hart und weich zugleich, als wären Slaven und Italiener die Gründer und Väter dieser Sprache, einer Sprache voller diskreter Ironie und voll graziöser Bereitschaft zur Harmlosigkeit […]. Es dauerte kaum eine Woche, und ich war in Zlotogrod ebenso heimisch, wie ich es in Sipolje, in Müglitz, in Brünn und in unserem Café Wimmerl in der Josefstadt gewesen war. ■■ Bestimmen Sie möglichst viele der erwähn­ ten Orte auf historischen oder geografischen Karten und/oder in Lexika und machen Sie damit eine Reise auf den Spuren Trottas. ■■ Beziehen Sie in Ihre Lokalisierungsversuche auch die im folgenden Textabschnitt genann­ ten Regionen und Völker ein. Keine unkritische Liebe zur Monarchie Das österreichische Heer, zumindest dessen Führung, jubelt, denn der Krieg von 1914 ist ausgebrochen. Er wird, so meint man, mit dem schnellen Sieg der Mo­ narchie enden. Nur Trotta sieht die Schwächen Öster­ reichs. Wir saßen nun wieder zusammen […]. Und gerade die Unbekümmertheit meiner Kameraden, mit der sie heute dem bevorstehenden Sieg ebenso zujubel- ten, wie sie vor Jahren der nahenden Offiziers-Prü- fung entgegengetrunken hatten, beleidigte mich tief. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 Aufgabe 2 4 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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