Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
326 Literatur zwischen 1925 und 1945 Frau Amtsgerichtsrat: Darauf kommt es auch nicht an, Fräulein! Sondern ob der Tatbestand des Betruges erfüllt ist, darauf kommt es an! […] Die Prantl: Richtig. Frau Amtsgerichtsrat: Mich geht es ja nichts an und ich persönlich habe mit dem Gericht gottlob nur insoferner etwas zu tun gehabt, als wie dass ich mit einem Richter verheiratet bin. Aber Sie haben ja Ihren Wandergewerbeschein nicht um das Geld dieses Herrn da gekauft, also – ich höre meinen August schon sagen: Vorspiegelung falscher Tatsachen – Tatbestand des Betruges. Präparator ist verzweifelt in sich zusammengesun- ken; weinerlich: Ich bin doch ein armer Präparator, der etwas Gutes getan hat – Elisabeth: Herr Präparator! Sie werden Ihr Geld schon wiedersehen. […] Präparator: Wann? Elisabeth: Ich werd es schon abarbeiten. Die Prantl: Wieso? Sie liest aus Elisabeths Bestell- buch. Zwei Paar Straps, ein Hüfthalter und ein Korsett. Und höhere Gewalt. Präparator fährt hoch: „Höhere Gewalt“! Betrug! Gebens mir auf der Stell mein Geld zurück, Sie! Elisabeth: Ich habe es jetzt nicht. Die Prantl: Aber Ihren Wandergewerbeschein haben Sie doch von mir! Elisabeth: Das schon. Präparator: Na also! Elisabeth: Aber das Geld von dem Herrn habe ich zu etwas Dringenderem gebraucht. Die Prantl: Das wird ja immer interessanter! Elisabeth: Meinetwegen. Ich habe es zu einer Geldstrafe gebraucht. Präparator wieder außer sich: Was?! Sie haben mit der Justiz schon etwas gehabt?! Eine Vorbestrafte sind Sie also?! Aber Ihnen bring ich noch in das Zuchthaus, das garantier ich Ihnen! Ich war Ihr letztes Opfer! Er rast ab. Szene 4 Frau Amtsgerichtsrat: Mich geht es ja nichts an, aber vorbestraft ist immer schon arg. Elisabeth sagt es auf wie ein Schulmädchen: Ich bin vorbestraft, weil ich ohne Wandergewerbeschein gearbeitet habe – und da hat man mir eine Geldstrafe von einhundertundfünfzig Mark hinaufgehaut, bezahlbar in Raten. Aber dann ist alles fällig geworden und ich hätt dafür in das Gefängnis müssen und meine Zukunft wäre wieder in das Wasser gefallen – und so habe ich dafür dem Herrn Präparator sein Geld aufgebraucht. Frau Amtsgerichtsrat: Also tuns nur nicht viel leugnen und zeigens Ihnen nicht gescheiter als wie der Richter ist. Mein Mann ist ja ein braver Mensch, aber tuns die Verhandlung nur ja nicht in die Länge ziehn durch unnötige Verteidigung!! Wenn ich zuhaus beim Mittagessen sitz und vergeblich auf ihn wart und er kann nicht weg, weil die Sitzung so lang dauert, dann hört auch bei ihm das Verständnis auf. ■■ Zu den Szenen 1, 2: Beschreiben Sie das unterschiedliche Verhalten der Prantl zur Frau Amtsgerichtsrat und zu Elisabeth. Analysieren Sie, wie sich diese Unterschiede in der Sprache der Prantl zeigen, untersuchen Sie dabei auch die von der Prantl verwende ten Anredeformen. Stellen Sie fest, was für die Prantl ausschlaggebend ist, um jemanden „positiv“ zu beurteilen. ■■ Zu den Szenen 3, 4: Fassen Sie das Gesche hen der Szenen zusammen und erläutern Sie, in welchem schwer lösbaren Problemzirkel sich Elisabeth befindet. ■■ Zu Szene 4: Bewerten Sie das Verhalten der Frau Amtsgerichtsrat. Elisabeth wird zu vierzehn Tagen Gefängnis verurteilt. Auf dem Sozialamt lernt sie den Polizisten Alfons Klos termeyer kennen, der ihr die Ehe verspricht. Sie wird seine Braut und lebt mit ihm zusammen, bis er erfährt, dass sie vorbestraft ist, und sie aus Angst vor Karriere schwierigkeiten verlässt. An einem Novemberabend wird Elisabeth auf die Polizeiwache getragen. Sie hat sich aus Hunger und Verzweiflung in den Fluss ge stürzt, wurde aber noch lebend herausgezogen: „Ich bin doch nur ins Wasser, weil ich nichts mehr zum Fres- sen hab […]!“ Während man ihren „tollkühnen Lebensretter“ feiert, stirbt Elisabeth. Niemand fühlt sich an ihrem Tod schuldig. Unbeeindruckt gehen alle zu einer vaterländischen Parade, von der die Musik des Marsches „Alte Kameraden“ herübertönt. 136 138 140 142 144 146 148 150 152 154 156 158 160 162 164 166 168 170 172 174 176 178 180 182 184 186 188 190 192 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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