Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

32 Hochmittelalter (1170–1250) 4 Ungezwungene Liebe und gleichberechtigte Frau Der von Kürenberg: „Ez gât mir vonme herzen daz ich geweine“ und Dietmar von Aist: „Slâfst du, friedel ziere?“ (um 1170) Was heißt „Minne“? Der Begriff Minne ist verwandt mit dem lateinischen Verb „memini“, das „an etwas denken, sich an etwas erinnern“ bedeutet. Minne war also ursprünglich freundliches, liebevolles Denken an jemanden. Der Donauländische Minnesang Am Beginn der deutschsprachigen Minnelyrik finden sich kurze Lieder, entstanden im österreichischen Do­ nauraum. Die Anfangszeilen schildern eine bestimm­ te, oft traurige Liebessituation. Die Frau ist dem Mann gegenüber gleichberechtigt in ihren Gefühlen, sie schildert ihre Sehnsucht, Klage, ihr Begehren und ihre Trauer. Bedeutende Dichter sind die beiden Oberöster­ reicher Dietmar von Aist und Der von Kürenberg. Hier zwei Lieder in Originalsprache, das des Kürenbergers zusätzlich in neuhochdeutscher Übertragung. Der von Kürenberg Ez gât mir vonme herzen daz ich geweine: ich und min geselle müezen uns scheiden. daz machent lügenaere. got der gebe in leit! der uns zwei versuonde, vil wol des waere ich gemeit. Es kommt tief aus meinem Herzen, dass ich jetzt weine. Ich und mein Geliebter müssen auseinandergehen. Daran sind Lügner schuld. Gott gebe ihnen Leid! Wer uns zwei versöhnen könnte, der würde mich sehr glücklich machen. Dietmar von Aist „Slâfst du, friedel ziere? man weckt uns leider schiere: ein vogellîn sô wol getân daz ist der linden an daz zwî gegân.“ „Ich was vil sanfte entslâfen: nu rüefstu kint Wâfen. liep âne leit mac niht gesîn. Waz du gebiutst, daz leiste ich, friundin min.“ Diu frouwe begunde weinen. „du rîtst und lâst mich eine. wenne wilt du wider her zuo mir? owê du füerst min fröide sament dir.“ „Vokabular“: friedel = Geliebter; Wâfen ruofen = Lärm schlagen; ge- biutst gehört zu gebieten (anordnen); rîtst gehört zu rîten (reiten) 2 4 2 4 2 4 6 8 10 12 Darstellung des „Der von Kürenberg“ im Codex Manesse, Universitäts­ bibliothek Heidelberg, frühes 14. Jh. ■■ Geben Sie den Inhalt des Liedes von Dietmar von Aist wieder. ■■ Benennen Sie das beiden Gedichten gemeinsame Motiv. ■■ Texte wie das Lied Dietmars zählt man zur Gattung des „Tageliedes“. Untersuchen Sie folgende Aspekte: –– Zu welcher Tageszeit vollzieht sich dieser Dialog? –– Markieren Sie die Zeilen, in denen die Frau spricht, mit einer anderen Farbe als die Verszeilen des Mannes; beachten Sie die – nicht originalen – Anführungszeichen. –– Fassen Sie die Aussagen der Frau und des Mannes zusammen. Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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