Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

319 Literatur zwischen 1925 und 1945 schwamm heulend ans Ufer. Fabian ertrank. Er konnte leider nicht schwimmen.“ Kästners lyrisches Programm „Es ist kaum glaublich, und doch ist es so: Die Mehrzahl der Lyriker singt […] noch immer von der ‚Herzliebsten mein‘ und von dem ‚Blümlein auf der Wiesen‘ und be- hauptet anschließend, von der Muse mitten auf den Mund geküsst worden zu sein.“ So polemisch formu­ liert Kästner seine Attacke gegen sentimentale Ge­ dichte. Seine Forderung an die Lyrik: Verse, die das Publikum lesen und hören kann, ohne einzuschlafen; denn sie sind […] verwendbar. Sie wurden im Umgang mit den Freuden und Leiden der Gegenwart notiert; und für jeden, der mit der Gegenwart […] zu tun hat, sind sie bestimmt. Man hat für diese Art von Gedichten die Bezeichnung „Gebrauchslyrik“ erfunden […] Verse, die von den Zeitgenossen nicht in irgendeiner Weise zu brauchen sind, sind Reimspielereien, nichts weiter. […] Es gibt wieder Verse, bei denen auch der literarisch unver­ dorbene Mensch Herzklopfen kriegt […]. Es gibt wieder Lyriker, die wie natürliche Menschen empfinden. […] Die Lyriker haben wieder einen Zweck. Ihre Beschäftigung ist wieder ein Beruf. Sie sind wahrscheinlich nicht so notwendig wie die Bäcker und die Zahnärzte; aber nur, weil Magen- knurren und Zahnreißen deutlicher Abhilfe fordern als nichtkörperliche Verstimmungen. Trotzdem dürfen die Gebrauchspoeten ein bisschen froh sein: sie rangieren unmittelbar hinter den Handwerkern. Berichten Sie, welche (literarischen) Texte, die Sie bisher gelesen haben, für Sie unmittelbaren „Gebrauchswert“ beziehungsweise hohe Bedeutung (gehabt) haben. Kästners Bücher brennen 1933 wurden Kästners Bücher von den Nazis verbrannt. Der Autor war so bekannt, dass er zu den Schriftstellern zählte, deren Namen bei der Bücherverbrennung aus­ gerufen wurden. Nur „Emil und die Detektive“ durfte weiter verkauft werden. Besonders Gedichte wie das folgende waren dem NS-Regime ein Dorn im Auge. Primaner 1 in Uniform Der Rektor 2 trat, zum Abendbrot, bekümmert in den Saal. Der Klassenbruder Kern sei tot. Das war das erste Mal. Wir saßen bis zur Nacht im Park und dachten lange nach. Kurt Kern, gefallen bei Langemarck 3 , saß zwischen uns und sprach. Dann lasen wir wieder Daudet und Vergil und wurden zu Ostern versetzt. Dann sagte man uns, dass Heimbold fiel. Und Rochlitz sei schwer verletzt. Herr Rektor Jobst war Theolog für Gott und Vaterland. Und jedem, der in den Weltkrieg zog, gab er zuvor die Hand. Kerns Mutter machte ihm Besuch. Sie ging vor Kummer krumm. Und weinte in ihr Taschentuch vorm Lehrerkollegium. Der Rochlitz starb im Lazarett. Und wir begruben ihn dann. Im Klassenzimmer hing ein Brett mit den Namen der Toten daran. Wir saßen oft im Park am Zaun. Nie wurde mehr gespaßt. Inzwischen fiel der kleine Braun. Und Koßmann wurde vergast. Der Rektor dankte Gott pro Sieg. Die Lehrer trieben Latein. Wir hatten Angst vor diesem Krieg. Und dann zog man uns ein. Wir hatten Angst. Und hofften gar, es spräche einer Halt! Wir waren damals achtzehn Jahr, und das ist nicht sehr alt. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Aufgabe 1 Primaner: Schüler der Abschlussklasse 2 Rektor: Direktor 3 Langemarck: Schlachtenort des Ersten Weltkriegs mit mehreren Zehntausend Gefallenen 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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