Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

318 Literatur zwischen 1925 und 1945 der Monarchie seine Geburtsheimat, das habsburgi­ sche Galizien, verließ, in Wien lebte, nach Berlin zog, nach Paris emigrierte und dort in einem Armenspital starb. Nur im Schreiben konnte sich Roth seine Hei­ mat, das untergegangene Österreich-Ungarn, wieder schaffen. In seinen Werken ist er in „seiner“ Welt, fühlt sich geborgen wie in seiner galizischen Kindheit und der untergehenden Kultur des osteuropäischen Ju­ dentums. Den Zusammenbruch von Roths Welt schil­ dern vor allem die Romane „Flucht ohne Ende“, „Hiob“, „Radetzkymarsch“ und „Die Kapuzinergruft“ (8) . Der Krieg von 1914 werde mit Recht als Weltkrieg bezeich­ net, schreibt Roth in der „Kapuzinergruft“, „weil wir alle infolge seiner eine Welt, unsere Welt verloren ha- ben“ . …und Prophetie „Feuer“, „Masse“ und „Macht“ sind drei Hauptmotive im Werk des 1981 mit dem Literaturnobelpreis ausge­ zeichneten Romanciers, Essayisten und Dramatikers Elias Canetti (1905–94). In seinem Roman „Die Blen­ dung“ (1935) berichtet Canetti vom Kampf des Gelehr­ ten Dr. Peter Kien gegen die auf ihn hereinbrechende Welt der Großstadt und der Masse. Sie dringt in die Welt Kiens in Gestalt seiner Haushälterin Therese ein. Mit Hilfe eines Tricks erschleicht sie sein Vertrauen: Nur mit den Fingerspitzen, um es ja nicht zu be­ schmutzen, nimmt sie das schlechteste Buch entge­ gen, das Kien ihr aus seiner riesigen Privatbibliothek leihen will. Kien ist begeistert, heiratet sie. Ab diesem Augenblick setzt Therese alles daran, Kien aus der Bi­ bliothek zu vertreiben. Kien weiß nur mehr einen Aus­ weg, er legt Feuer, das ihn und seine Bibliothek ver­ nichtet: „Als ihn die Flammen endlich erreichen, lacht er so laut, wie er in seinem ganzen Leben nie gelacht hat.“ Im Schicksal Kiens sah die Literaturkritik eine „mächtige Metapher für den Untergang des zivilisierten Europa“ . Nur vier Jahre nach der Veröffentlichung des Romans brach der Zweite Weltkrieg aus. Die literari­ sche Vision Canettis erwies sich als bittere Prophetie. In „Masse und Macht“ geht Canetti den zerstöreri­ schen Eigenschaften der Masse auf den Grund (9) . Der Leseraum 1 „Es gibt wieder Verse, bei denen auch der literarisch unverdorbene Mensch Herzklopfen kriegt.“ Erich Kästner: „Primaner in Uniform“ (1929), „Klassenzusammenkunft“ (1928) Nicht nur ein Kinderbuchautor Erich Kästners Romane wie „Emil und die Detektive“, „Pünktchen und Anton“, „Das doppelte Lottchen“ oder „Das fliegende Klassenzimmer“ gehören zu den Klassi­ kern der Kinderliteratur. Doch Kästners literarisches Schaffen umfasst auch zeitkritische Romane und Ge­ dichte. In seinem Roman „Fabian“ (1931) zum Beispiel warnt Kästner mit Sarkasmus, Witz, Satire und Bitter­ keit vor dem drohenden Verhängnis des National­ sozialismus. Die gleichnamige Hauptfigur des Romans versucht, ein „Nichtschwimmer“ zu bleiben, das heißt, sich nicht im Strom einer totalitären politischen Rich­ tung von rechts oder links mittreiben zu lassen. Das Ende bleibt offen: Fabian, der auch in der Realität ein Nichtschwimmer ist, ertrinkt beim Versuch, einen Jun­ gen aus einem Fluss zu retten: „Der kleine Junge Porträt Erich Kästner, Foto, um 1952 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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