Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

317 Literatur zwischen 1925 und 1945 Beschreiben Sie Havlitscheks unterschiedlichen Sprachgebrauch, wenn er mit seinem Chef redet, wenn er über Marianne, die („davongelau­ fene“) Braut des Chefs, spricht oder sich über die Frauen „im Allgemeinen“ auslässt. Immer sind die Frauen die Opfer Stets sind die Frauen die am tiefsten getroffenen Fi­ guren. Sie sind die einzigen, die über sich hinaus­ schauen wollen, an Ehrlichkeit und an eine bessere Welt glauben. In „Kasimir und Karoline“ (1932), einem Bilderbogen von 117 Szenen aus der Zeit der Weltwirt­ schaftskrise, formuliert Karoline: „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär man nie dabei gewesen.“ Auch Elisabeth in Ödön von Horváths Drama „Glaube Liebe Hoffnung“ ringt verzweifelt um ein menschenwürdiges Leben (4) . Die Epik: (Anti-)Kriegsromane, Zerstörung der Romanform, Nostalgie und Prophetie Der (Anti-)Kriegsroman In den Jahren zwischen 1920 und 1930 beherrscht die Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg die Ro­ manliteratur. Zu den ersten und zugleich bis heute um­ strittensten epischen Texten über den Ersten Weltkrieg gehören die Kriegstagebücher „In Stahlgewittern“ (1920) und „Sturm“ (1923) von Ernst Jünger (1895–1998) (5) . Der Autor schildert zwar im Detail die Gräuel des Krieges, aber auch die Faszination, welche Kampf und Schlacht ausüben können. Zu den entschiedensten Antikriegsromanen gehört „Im Westen nichts Neues“ (1929) von Erich Maria Remar­ que, einer der größten Bucherfolge der Zeit. Remarque berichtet in detaillierter Wiedergabe des alltäglichen Grauens über das Kriegsleben des Gymnasiasten Paul Bäumer, der als letzter seiner Schulklasse im Oktober 1918 in Frankreich fällt, an einem Tag, über den das Heereskommando berichtet, dass „im Westen nichts Neues zu melden“ sei. Lange vergessen war der Roman „Heeresbericht“ (6) von Edlef Köppen (1893–1939). Heu­ te gilt er als künstlerisch hervorragender Antikriegsro­ man der Zeit. Neue Formen des Romans Im Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil (1880–1942) und in der „Schlafwandlertrilogie“ von Hermann Broch (1886–1951) tritt das Erzählen der Entwicklung und des Schicksals eines „Helden“ in den Hintergrund. Wichtiger als die Darstellung einer „Ge­ schichte“ ist den Autoren das Nachdenken über den Verfall einer Gesellschaft, die bis zum Ersten Weltkrieg noch an eine für alle verbindliche Wahrheit und an all­ gemein gültige Regeln für Denken und Verhalten glaub­ te. Mit dem Krieg aber ist die Hoffnung auf eine ver­ bindliche, rational begründbare „Wahrheit“ verloren ge­ gangen. Broch und Musil versuchen in ihre Romane Wissenschaft, Philosophie, Kulturgeschichte zu integrie­ ren, um zu analysieren, wie die alte Welt zerfallen ist. Musil bezeichnet seinen Roman als einen „Essay von ungeheuren Dimensionen“ . Exil, Krankheit, Geldnot ver­ hinderten den Abschluss des „Mann ohne Eigenschaf­ ten“, obwohl Musil bis zu seinem Tod 1942 nahezu unun­ terbrochen an seinem Roman arbeitete. Erst 1952 wird das Werk in einer Kombination aus fertig gestellten Ka­ piteln, Skizzen und Entwürfen veröffentlicht. Überzeugt von der Notwendigkeit sprachlicher Genauigkeit arbei­ tete Musil manche Kapitel bis zu zwanzigmal um, bis sie seiner Forderung nach Präzision genügten: „Stil ist für mich exakte Herausarbeitung eines Gedankens.“ Die Resonanz Musils zu seinen Lebzeiten war gering. Nur die frühe Schülergeschichte „Die Verwirrungen des Zög­ lings Törleß“ hatte Erfolg. Die 1924 erschienenen Erzäh­ lungen „Drei Frauen“ blieben wenig beachtet. Heute werden sie zu den Höhepunkten der Erzählkunst der Zwischenkriegsliteratur gezählt (7) . Nostalgie … Die Personen in den Erzählungen und Romanen von Joseph Roth (1894–1939) sind Auswanderer, Fliehende, Entwurzelte, Menschen, die ihre geistige, seelische oder konkrete Heimat verloren haben. Sie spiegeln das Schicksal des Autors wider, der nach dem Zerfall Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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