Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

31 Hochmittelalter (1170–1250) Nu daz diu maget unde der man, Isolt unde Tristan, den tranc getrunken beide, sâ was ouch der werlde unmuoze dâ, Minne, aller herzen lâgærîn, und sleich z’ir beider herzen în. ê sî’s ie wurden gewar, dô stiez s’ir sigevanen dar und zôch si beide in ir gewalt. si wurden ein und einvalt, die zwei und zwîvalt wâren ê. […] Als die junge Frau und der Mann, Isolde und Tristan, den Trank getrunken hatten, da war sofort die Unruhe der Welt da, die Liebe, die allen Herzen einen Hinterhalt legt, und schlich sich in ihre beiden Herzen hinein. Und ehe sie es ahnten, stieß sie ihnen ihr Siegesbanner hinein und zog sie beide in ihre Gewalt. Sie wurden eins, die vorher zwei waren. Der Kampf zwischen der Liebe zu Isolde und der Loyalität zu Marke Nicht dass Tristan sich der Liebe widerstandslos hin­ geben würde. Er weiß, dass die Loyalität zu König Mar­ ke ein hohes Gut ist. Seine Ausweglosigkeit zwischen der „minne“ zu Isolde und der „triuwe“ zu Marke schil­ dert Gottfried sehr klar. In neuhochdeutscher Übertra­ gung lautet die Textstelle so: Als Tristan spürte, dass er [Isolde] liebte, dachte er an seine Verpflichtung, loyal zu sein und ehrenhaft, und er wollte es lassen. „Nein“, so dachte er bei sich, „Tristan, lass es sein, besinn dich, nimm es gar nicht erst zur Kenntnis!“ Jedoch sein Herz wollte zu ihr. Er kämpfte gegen sein Verlangen, begehrte gegen sein Begehren auf. Er wollte sie und wollte nicht. Er, der wie gefangen war, versuchte immer wieder, sich von der Fessel zu befreien; das zog sich lange hin. Pflichtgetreu wie er war, empfand er stark die doppelte Qual. Schaute er Isolde an und begann die süße Liebe, sein Herz und seine Sinne zu verwunden, so dachte er an seine Ehre, die zog ihn weg von ihr. Doch schon ging Liebe auf ihn los, die altererbte Herrin, und zwang ihn wieder, ihr zu gehorchen. Der Betrug Isolde geht es ebenso: „Alsam geschach Îsôte“, merkt Gottfried kurz an. Doch die Ehe zwischen Marke und Isolde wird geschlossen. In der Hochzeitsnacht wird dem König aber Isoldes Zofe Brangäne ins Ehebett ge­ legt. Die Reihe von Listen und Betrugsmanövern be­ ginnt, mit denen Tristan und Isolde ihre Liebe retten, bis sie entdeckt werden. Der getäuschte Marke ver­ treibt sie vom Hof. Die Vereinigung und die Trennung Sie leben im Wald und in einer „Minnegrotte“ und keh­ ren schließlich zurück an den Hof. Marke hat ihnen aufgrund einer weiteren Täuschung verziehen. Tristan hat auf dem Lager in der Minnegrotte ein Schwert zwischen sich und Isolde gelegt, was Marke als Reue und Verzicht interpretiert. Es folgt die endgültige Ver­ bannung des von Marke neuerlich auf „frischer Tat“ ertappten Tristan. Tristan besteigt das Verbannungs­ schiff, das in Arundel landet, er hilft dessen König im Krieg und soll als Lohn dafür eine andere Isolde, Isolde Weißhand, zur Frau erhalten. Damit bricht Gottfrieds Werk ab. Die Fortsetzer des Werkes plädieren für gerechte Strafe Vermutlich verhinderte Gottfrieds Tod die Fertigstel­ lung des „Tristan“. Das Publikum wünschte aber eine Fortsetzung. Mehrere Autoren des 13. Jahrhunderts schrieben den „Tristan“ zu Ende. Sie lassen Tristan und Isolde Weißhand heiraten, aber die heimlichen Begeg­ nungen mit der „wahren“ Isolde werden fortgesetzt. Tristan wird im Kampf neuerlich verwundet, nur Isolde kann die Wunde heilen. Tristan schickt nach ihr. Das Schiff mit Isolde kommt, aber Isolde Weißhand über­ bringt Tristan fälschlich die Nachricht, jene sei nicht an Bord. Tristan stirbt, Isolde findet ihn tot und stirbt an seiner Seite. Der Tod der beiden wird bei den Fortset­ zern als angemessene Strafe für ihr sündiges Leben dargestellt. Informieren Sie sich, welche bedeutenden musikalischen Werke die Stoffe von „Parzival“, „Tristan“ und – siehe S. 36 ff. – „Nibelungenlied“ gestaltet haben! 2 4 6 8 10 2 4 6 8 10 2 4 6 8 10 12 14 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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