Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
300 Expressionismus/Dadaismus (1910–1920/1925) „Eine alltägliche Verwirrung“ Immer wieder Scheitern So wie in der „Verwandlung“ und im „Prozess“ schei tern im gesamten Werk Kafkas die Hauptfiguren. Wenn sie ein Ziel erreichen wollen, treffen sie immer wieder auf Hindernisse, kommen meist nicht an oder verfehlen ihr Ziel, wie die Parabel „Eine alltägliche Ver wirrung“ zeigt: Ein alltäglicher Vorfall: sein Ertragen eine alltägliche Verwirrung. A hat mit B aus H ein wichtiges Geschäft abzuschließen. Er geht zur Vorbesprechung nach H, legt den Hin- und Herweg in je zehn Minuten zurück und rühmt sich zu Hause dieser besonderen Schnelligkeit. Am nächsten Tag geht er wieder nach H, diesmal zum endgültigen Geschäfts- abschluss. Da dieser voraussichtlich mehrere Stunden erfordern wird, geht A sehr früh morgens fort. Obwohl aber alle Nebenumstände, wenigstens nach A’s Meinung, völlig die gleichen sind wie im Vortag, braucht er diesmal zum Weg nach H zehn Stunden. Als er dort ermüdet abends ankommt, sagt man ihm, dass B, ärgerlich wegen A’s Ausbleiben, vor einer halben Stunde zu A in sein Dorf gegangen sei und sie sich eigentlich unterwegs hätten treffen müssen. Man rät A zu warten. A aber, in Angst wegen des Geschäftes, macht sich sofort auf und eilt nach Hause. Diesmal legt er den Weg, ohne besonders darauf zu achten, geradezu in einem Augenblick zurück. Zu Hause erfährt er, B sei doch schon gleich früh gekommen – gleich nach dem Weggang A’s; ja, er habe A im Haustor getroffen, ihn an das Geschäft erinnert, aber A habe gesagt, er hätte jetzt keine Zeit, er müsse jetzt eilig fort. Trotz diesem unverständlichen Verhalten A’s sei aber B doch hier geblieben, um auf A zu warten. Er habe zwar schon oft gefragt, ob A nicht schon wieder zurück sei, befinde sich aber noch oben in A’s Zimmer. Glücklich darüber, B jetzt noch zu sprechen und ihm alles erklären zu können, läuft A die Treppe hinauf. Schon ist er fast oben, da stolpert er, erleidet eine Sehnenzerrung und fast ohnmächtig vor Schmerz, unfähig sogar zu schreien, nur winselnd im Dunkel hört er, wie B – undeutlich ob in großer Ferne oder knapp neben ihm – wütend die Treppe hinunterstampft und endgültig verschwindet. ■■ Geben Sie den Inhalt des Textes detailliert wieder. ■■ Beschreiben Sie, in welche Situationen A gerät. Kafkas Leben als Hintergrund für seine Werke Im Verlauf ihres Weges werden sich Kafkas Personen bewusst, dass sie aufgrund unerklärlicher Umstände chancenlos sind. Diese Erkenntnis übersteigt schließ lich ihre Kräfte. Das hat die Wissenschaft angespornt zu erforschen, welche persönlichen Hintergründe die vom Autor dargestellte Welt hat. Die Interpretationen gehen zum Teil so weit, zum Beispiel in der „Verwand lung“ aus dem Namen Samsa eine Verschlüsselung des Namens Kafka (gleiche Vokalfolge, gleiche Buch stabenanzahl) herauszulesen und eine Übereinstim mung der in der „Verwandlung“ beschriebenen Woh nung mit Kafkas eigener Wohnung zu sehen. Auch zum „Prozess“ gibt es viele Hinweise auf persönliche Hintergründe. So hat Kafka einen Monat vor Beginn der Niederschrift nach einer Unterredung seine Verlo bung mit Felice Bauer gelöst. Kafka bezeichnete die ses Gespräch in seinen Tagebüchern als „Gerichtshof“ , kam sich „teuflisch in aller Unschuld vor“ und sah sich selbst zugleich als Angeklagten und Richter. Im Ro man erinnern selbst die Initialen der weiblichen Figur Fräulein Bürstner an Felice Bauer. Dass viele Interpre ten die Abkürzung des Familiennamens K. im „Prozess“ und im Roman „Das Schloss“ als Anspielung auf Kafka nehmen, liegt auf der Hand. Dass der erste Vertreter des Gerichts, dem K. begegnet, Franz heißt, weist auf die doppelte Rolle als Richter und Beschul digter hin, als der sich Kafka bei der Lösung seiner Verlobung sah. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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