Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

288 Expressionismus/Dadaismus (1910–1920/1925) Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. […] Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein Meer sein, um einen schmutzi­ gen Strom aufnehmen zu können, ohne unrein zu werden. Was ist das Größte, das ihr erleben könnt? Das ist die Stunde der großen Verachtung. Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meinem Glücke! Es ist Armut und Schmutz und ein erbärmliches Behagen. Aber mein Glück sollte das Dasein selber rechtfertigen!“ Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meiner Vernunft! Begehrt sie nach Wissen wie der Löwe nach seiner Nahrung? Sie ist Armut und Schmutz und ein erbärmliches Behagen!“ Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meiner Tugend! Noch hat sie mich nicht rasen gemacht. […] Die Stunde, wo ihr sagt: „Was liegt an meiner Gerechtig- keit! Ich sehe nicht, dass ich Glut und Kohle wäre. Aber der Gerechte ist Glut und Kohle!“ Spracht ihr schon so? Schriet ihr schon so? Ach, dass ich euch schon so schreien gehört hätte! Nicht eure Sünde – eure Genügsamkeit schreit gen Himmel, euer Geiz selbst in eurer Sünde schreit gen Himmel. Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke? […] Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist dieser Blitz […]! Der Ruf nach „Weltverbesserung“ Die Expressionisten sehen ihre Revolte als Aufruf zur Erneuerung. Dabei sind sie nicht nur von Nietzsche be­ einflusst, sondern auch von den Ideen des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard (1813–55). Er stellt die Freiheit in den Mittelpunkt seines Denkens. Im Gegen­ satz zum Tier kann der Mensch sich für eine bestimm­ te Lebensweise entscheiden. Er kann in einem ober­ flächlichen Genussleben verharren, der von Kierke­ gaard so genannten „ästhetischen“ Existenz. Er kann aber auch in einer „ethischen“ Existenz solidarisch am Aufbau einer humanen Gesellschaft mitarbeiten. Auch die Expressionisten stellen dem oberflächlichen alten einen kommenden neuen Menschen gegenüber, der sich vom alten grundlegend unterscheidet und gegen­ über den Mitmenschen solidarisch ist. Herauf […], neues Zeitalter aller der Kräfte, die den Menschen erst zum Menschen machen! War der Mensch bisher wirklich „Mensch“? War er nicht herzensträge, hart und böse […]? War er nicht bisher den Mitmenschen fremd, getrennt durch Grenzpfäh- le, Größe seines Einkommens, Art seiner Arbeit? […] Wusste er überhaupt etwas vom anderen? […] War er nicht sich ein Fremder und waren nicht alle Menschen ihm im Wege? War er nicht gebunden, unfrei, Glied nur der Gesellschaft? Herauf darum, du neuer Mensch, du Glied der Gemeinschaft von Brüdern, Freunden und Kameraden! ■■ Bestimmen Sie, welche Eigenschaften laut Text den „alten“ Menschen kennzeichnen und welche zwei Begriffe der Text antithetisch einander gegenüberstellt. ■■ Definieren Sie beide Begriffe – zunächst spontan, dann mit Hilfe von Nachschlagewer­ ken und erörtern Sie den Unterschied der beiden Begriffe. Die Literaturübersicht Anklage, Pathos, Hässlichkeit und die Zertrümmerung der Grammatik Die Aufgabe der Literatur: demolieren, um Neues zu schaffen „Aktion“, „Der Sturm“, „Die Revolution“, „Umsturz und Aufbau“, „Der jüngste Tag“, so lauten die Titel der wich­ tigsten literarischen Zeitschriften und Buchreihen des Expressionismus. Die Titel zeigen das literarische Pro­ gramm: Opposition gegen Realismus und Naturalis­ mus, die sich mit der Beschreibung der Realität be­ gnügen, Opposition gegen das Fin de Siècle, das sich in die Welt der Ästhetik flüchtet, und Opposition vor allem gegen Goethe: 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 2 4 6 8 10 12 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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