Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

280 Symbolismus, Impressionismus, Fin de Siècle, Wiener Moderne (1890–1920) gehöre, vermochte sie nicht, ihre Verbitterung darüber zu unterdrücken, dass ich nicht ausschließlich „beim Herd“ war. Um Verdrießlichkeiten vorzubeugen, musste ich manche Stunde und auch manchen halben Tag der häuslichen Arbeit widmen, die andere ebenso gut hätten besorgen können. Bei Nacht musste ich dann nachholen, was ich dadurch […] an meiner Weiterbildung versäumt hatte. […] Als ich im vierten Jahr unserer Ehe mein erstes Kind erwartete, beschäf- tigte ich mich viel mit dem Hauswesen und löste die Mutter beim Kochen ab. Jetzt erregte das ihre Eifer- sucht, was sie zuerst so ersehnt hatte. Sie sah sich durch mich verdrängt und wenn mein Mann anerken- nend von meinen Fähigkeiten als Hausfrau sprach, so versuchte sie meine Kenntnisse herunterzusetzen. […] Ich litt sehr unter diesen Verfolgungen meiner Mutter, die nicht einer Bösartigkeit entsprangen, sondern dem Schmerz über die Enttäuschung, die sie an mir erlebt hatte. […] Nun war ich verheiratet, aber ich war nicht weniger tätig als früher und mein Mann lebte derselben Aufgabe. Wenn wir nachts heim kamen, erwartete sie uns in ihrem Bette sitzend und verzweif- lungsvolle Klagen ausstoßend. Sie machte uns beiden schwere Vorwürfe. […] Sie höhnte und spottete, als mich mein Mann bestärkte, mich von einem Lehrer unterrichten zu lassen, weil ich mich in Orthographie und Grammatik so schwach fühlte. Mein Mann aber bestärkte mich auch in meiner Lust, fremde Sprachen zu erlernen. Er war von dem Gedanken geleitet, dass ich mit erhöhter Bildung und vermehrtemWissen dem Proletariat um so besser werde dienen können. Als wir später Kinder hatten, meinte ich oft unter der doppelten Bürde zusammenbrechen zu müssen. Manchmal saß ich mit dem unruhigen Säugling im Arm beim Schreibtisch und schrieb Artikel, indes die ganze häusliche Arbeit noch zu tun war. Ich hatte außer meiner Mutter keine Hilfe im Hauswesen. Die Mutter war aber über siebzig Jahre alt und kränklich. […] Sie wollte aber nicht dulden, dass jemand anders an ihre Stelle trete. Sie hatte immer Angst, als über- flüssig zu erscheinen und klammerte sich immer mehr an ihren Wirkungskreis, dem sie doch nicht mehr gewachsen war. So musste ich Tag und Nacht arbeiten. Als mein Kind vier Monate alt war, war ich so geschwächt, dass ich eines Tages, als ich mein Kind eben gestillt hatte, von einer Ohnmacht befallen wurde. Ich verzweifelte über den Ausspruch des Arztes, dass ich das Kind nicht mehr säugen dürfe. Ich erschien mir selbst minderwertig und beklagte mein Kind. Alles das hätte mir aber erspart bleiben können, wenn ich nicht eine mehr als zweifache Bürde zu bewältigen gehabt hätte. ■■ Beschreiben Sie den Charakter von Popps Mann. ■■ Untersuchen Sie, welche unterschiedliche Sicht der Frauenrolle Adelheid Popp und ihre Mutter haben, welche Ängste die Mutter prägen und welches „Versagen“ sich Adelheid Popp vorwirft. Alma Mahler-Werfel (1879–1964) Sie gehört zu den umstrittensten Frauen des Fin de Siècle. Mit vielen Größen der Literatur, Musik, Archi­ tektur, Malerei des Fin de Siècle war sie bekannt oder eng befreundet, vielen war sie als Anregerin wichtig. Gustav Klimt verehrte sie, als sie 17 war. Sie heiratete zunächst den Komponisten und Wiener Operndirektor Gustav Mahler. Nach Mahlers Tod und einer engen Verbindung mit dem Dichter und Maler Oskar Ko­ koschka heiratete sie den Bauhaus-Architekten Wal­ ter Gropius. Nach der Scheidung von Gropius wurde sie die Ehefrau des Schriftstellers Franz Werfel, mit dem sie gemeinsam in die USA flüchtete. Das Urteil über ihre Persönlichkeit fällt sehr unterschiedlich aus. Sie selbst sah sich als schöpferische Muse und Förde­ rin der Männer, und einige ihrer Zeitgenossen teilten dieses Urteil. Der Dichter Klaus Mann verglich sie mit den intellektuellen Frauen der deutschen Romantik und den Damen der Salons der französischen Klassik, welche die Künste förderten. Andere sehen in ihr eine Frau, die ihre prominenten Lebensgefährten ausnutz­ te. Verloren geht dabei, dass Alma Mahler-Werfel eine in der damaligen Zeit geschätzte Komponistin war. „Ich bin nur eine Hausfrau. Ich sterbe fast vor Sehn- sucht nach dem Klavierspielen, aber ich habe den Zu- gang zur Musik verloren. [...] Ich vegetiere vor mich hin“ , schrieb Alma Mahler-Werfel kurz nach ihrer Heirat mit Mahler in ihr Tagebuch. Mahler hatte von ihr Unter­ ordnung und die Aufgabe ihres Komponistinnen-Be­ rufs gefordert: „Die Rolle des Komponisten fällt mir zu, deine ist die der liebenden Gefährtin. Du hast von nun an nur einen Beruf, mich glücklich zu machen.“ Von Alma Mahler-Werfel sind nur vierzehn Lieder erhalten geblieben. 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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