Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

279 Symbolismus, Impressionismus, Fin de Siècle, Wiener Moderne (1890–1920) hingen und die Worte zu lesen waren: Ich habe mich einem Juden hingegeben. „Schlank, zerbrechlich und, ungeachtet des kahlen Kopfes, ausnehmend hübsch“, war sie – nach Bericht der ‚Times‘ – die Reihe der in- ternationalen Hotels entlang geführt worden. Sie stol- perte einige Male und wurde dann von der Mann- schaft wieder auf die Füße gestellt, manchmal in die Höhe gehoben […]. Bei dieser Gelegenheit wurde sie vom Publikum […] verhöhnt und spaßhafter Weise eingeladen, eine Rede zu halten. Die Kinder des ame- rikanischen Gesandten haben es gesehen; Europa hat es gehört. Noch nie ist Ähnliches in einem Angst- traum erlebt worden. […] Grenzenlos Drei bemerkenswerte Frauen des Fin de Siècle und die Geschichte eines Bildes Kämpferinnen und Anregerinnen Frauen waren Anregerinnnen für Dichter, Maler, Kom­ ponisten, schrieben als Kämpferinnen gegen soziale, politische und geschlechtsspezifische Ungerechtigkei­ ten, dennoch ist von ihnen in Literaturgeschichten oft nicht die Rede. Drei bedeutende Frauen des Fin de Siècle sollen hier vorgestellt werden. Adelheid Popp hat in ihren Schriften, Reden und Aktionen viele Ideen der heutigen Frauenbewegung vorweggenommen. Alma Mahler-Werfel spielte eine große, wenn auch nicht unumstrittene Rolle als Anregerin der Künste. Das Leben von Adele Bloch-Bauer zeigt, wie Fragen um Bedrohungen und Beraubungen, denen jüdische Bürgerinnen und Bürger in der NS-Zeit ausgesetzt wa­ ren, erst in jüngster Zeit zu einer Lösung kommen. Adelheid Popp (1869–1939) Sie ist das fünfzehnte Kind einer armen Weberfamilie. Ihr Vater, ein schwerer Trinker, tyrannisiert die Familie. Er stirbt, als Adelheid Popp sechs Jahre alt ist. Nach nur dreijährigem Schulbesuch muss die Zehnjährige als Dienstmädchen, Näherin und in Fabriken arbeiten und die Mutter beim Unterhalt der Familie unterstüt­ zen. Mit dreizehn ist sie gesundheitlich am Ende. Sie kommt mit Ideen des Sozialismus in Berührung und beschafft sich weiteren Lesestoff aus der Bibliothek des Arbeitervereins. Ihre Leseinteressen verändern sich: Von der billigen Unterhaltungsliteratur gelangt sie über die von ihr sehr geschätzten Goethe und Schiller zu kritischen politischen Schriften. 1893 betei­ ligt sie sich an der Organisation eines der ersten Frau­ enstreiks. Popp kämpft redend, schreibend und han­ delnd gegen die soziale Benachteiligung und politi­ sche Rechtlosigkeit der Frauen, die weder das aktive noch das passive Wahlrecht haben. 1893 heiratet sie den sozialdemokratischen Funktionär Julius Popp. Ihr Gatte, ein schwerkranker Mann, mit dem sie zwei Kin­ der hat, stirbt bereits nach neunjähriger Ehe. Popps 1909 unter dem Titel „Jugendgeschichte einer Arbeite­ rin“ anonym veröffentlichte Erinnerungen sind ein wichtiges Zeugnis, wie sich Frauen aus sozial benach­ teiligten Schichten ihrer Situation bewusst werden und Veränderungen verlangen. In der folgenden Stelle be­ richtet Popp über ihren Mann und die ersten Ehejahre: Die Frauen hatten keinen teilnehmenderen Freund als ihn und oft erzählte er mir, wie es ihn immer geschmerzt habe, wenn er Frauen […] auf den Knien im Schmutz herumrutschen sah, um den Fußboden zu reinigen. In bitteren Worten sprach er von den Männern, die ihren halben Wochenlohn vertranken oder verspielten, indes Frau und Kinder zu Hause darbten. Er achtete nicht nur in der erwerbenden Frau die Arbeiterin, sondern auch in der im Haushalt tätigen sah er die Arbeitssklavin und er empörte sich über die Ungerechtigkeit, dass man ihre ermüdende und oft aufreibende Tätigkeit als Spielerei betrachte. Wenn ich morgens mit ihm zusammen von daheim fortging und schon unser Zimmer aufgeräumt hatte, während er beim Lesen einer Zeitung gesessen, sah er das nie als eine Selbstverständlichkeit an, sondern als eine über meine Pflicht gehende Leistung. Meine Mutter führte unsere Wirtschaft, aber in ihren festgewurzelten Anschauungen, dass die Frau ins Haus 6 8 10 12 14 16 18 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Fokus Grenzenlos Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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