Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

27 Hochmittelalter (1170–1250) So lag sie: Lockung, Abenteuer. Schneeweiß wie das Elfenbein, dicht gereiht und zierlich klein standen glänzend ihre Zähne. Ich fürchte, es wird nie geschehn, dass ich mal solche Lippen küsse – ich erlebte so was nie! Ihr Deckbett, das aus Zobel 1 war, reichte an die zarten Hüften – zu heiß geworden, weggeschoben, als sie ihr Mann alleine ließ. […] Auch hatte diese Liebesschöne schlanke Arme, weiße Hände. Der Junge sah hier einen Ring, der zog ihn magisch an das Bett, er raufte mit der Herzogin, denn er dachte an die Mutter: sie empfahl ihm Frauenringe. So war denn dieser hübsche Junge vom Teppich auf ihr Bett gesprungen. Als er in ihren Armen lag, fuhr sie (schön und züchtig) auf: das hatte sie ja wecken müssen! […] Er ging sogleich zu ihrem Bett und gab ihr nochmals einen Kuss – die Herzogin war sehr dagegen. Er fragte vorher nicht, brach auf. […] Der Bursch war stolz auf seine Beute! Für Jeschute wird die Begegnung mit Parzival zur per­ sönlichen Katastrophe, denn ihr Ehemann Orilus glaubt ihre Unschuld nicht, misshandelt sie und setzt sie als vermeintliche Ehebrecherin der gesellschaftli­ chen Ächtung aus. ■■ Analysieren Sie, wie der Ausdruck „die Neigung und den Ring gewinnen“ im Rat der Mutter an Parzival aufzufassen war und welcher Fehlinterpretation dieses Rates Parzival unterliegt. ■■ Beschreiben Sie das weibliche Schönheits­ ideal des Mittelalters, wie es sich in dieser Textstelle zeigt. ■■ Bestimmen Sie, an welcher Stelle sich Wolfram selbst ironisch in den Text einschaltet. Nochmals Ratschläge für Parzival Am Artushof angekommen, erschlägt Parzival den „roten Ritter“ Ither, einen nahen Verwandten, um an dessen Rüstung und Pferd zu kommen. Parzival fühlt sich nun als Ritter, trägt aber bezeichnenderweise weiter sein Narrenkleid unter der Rüstung. Dies legt er erst auf der nächsten Station seiner Abenteuerrei­ se ab, bei Gurnemanz von Graharz. Gurnemanz un­ terweist Parzival in den Regeln ritterlicher Lebens­ führung. Von ihm lernt Parzival richtiges höfisches Verhalten: Helft den vielen in der Not, kämpft gegen ihre Armut an mit Güte, Großzügigkeit, gebt niemals Eure Demut auf. Gerät ein edler Mann in Not, so hat er mit der Scham zu kämpfen (und das ist ein bittrer Kampf!) – seid bereit, auch ihm zu helfen. Er ist noch übler dran als jene, die vor Fenstern Brot erbetteln. […] Doch ob Ihr arm seid oder reich – zeigt stets das rechte Augenmaß. Ein Herr, der den Besitz verschleudert, benimmt sich gar nicht wie ein Herr; doch wenn er dauernd Schätze häuft, so ist dies auch nicht ehrenvoll. Haltet immer Maß und Ziel. […] Seid nicht mehr so ungehobelt! Ihr sollt nicht viele Fragen stellen! […] Verbindet mit dem Mut das Mitleid […]. Wenn einer sich Euch unterwirft, per Ehrenwort, so nehmt es an und lasst ihn leben – falls er Euch nichts antat, was das Herz zerbricht. Ihr werdet oft die Rüstung tragen; sobald die von Euch abgelegt ist, wascht Euch Hände und Gesicht – sobald sich Rost zeigt, wird es Zeit! Ihr wirkt dann wieder angenehm – und das bemerken Frauen gleich! Seid mutig und seid hochgestimmt, das fördert Euren schönen Ruhm. Und haltet stets die Frauen hoch – so steigt ein junger Mann im Rang. […] Wenn Ihr sie belügen wollt, da könnt Ihr viele leicht betrügen! Doch Betrug ist nicht von Dauer – anders als der Ruhm, die Liebe. 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 1 wertvoller Pelz Aufgabe 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=