Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

265 Das Fundament Der Aufbruch in die Moderne Realisten, Naturalisten, Arbeiterdichtung, Kitsch­ romane und eine neue Strömung Die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts gelten als philo­ sophischer und literarischer Beginn der Moderne. Im Gegensatz zu früheren Epochen dominiert nicht mehr eine philosophische oder literarische Strömung, wie „die Klassik“, „die Romantik“, „der Realismus“. Es gibt eine Vielfalt von Weltanschauungen, literarischen Sti­ len, Denksystemen. Einerseits schreiben die Realisten wie Fontane, Wilhelm Busch und Wilhelm Raabe ihre großen Romane und humoristischen Satiren. Anderer­ seits erscheinen in diesen Jahren die naturalistischen Manifeste und Werke zum Beispiel von Hauptmann und Holz. Parallel dazu entwickelt sich die Arbeiter­ dichtung, welche die gesellschaftlichen Veränderun­ gen betont politisch darstellt. Die vierte Komponente bildet die große Masse der seichten Unterhaltungs-, Kitsch- und Heimatromane. Und schließlich erscheinen in diesen Jahren die ersten Werke einer neuen Litera­ tur, die Realismus, Naturalismus und politischem En­ gagement gegenüber skeptisch ist: die Gedichte von Stefan George (1868–1933) und Rainer Maria Rilke (1875–1926), die frühen Dramen und Gedichte von Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) und die Dramen Arthur Schnitzlers (1862–1931). Viele Begriffe für ein künstlerisches Anliegen An Schlagwörtern für die Bezeichnung dieser neuen Strömung zu Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahr­ hunderts mit den Zentren Berlin, München und Wien herrscht kein Mangel. Impressionismus, Symbolismus, Wiener Moderne, Junges Wien, Décadence, Fin de Siècle sind einige der geläufigsten Orientierungsbe­ griffe. Gemeinsam ist allen diesen Begriffen, dass sie eine Kunst und Literatur bezeichnen, die sich weigert, die Wirklichkeit realistisch oder gar kritisch-naturalis­ tisch abzubilden. Den Gedanken, dass Kunst sich von der Nachahmung der Realität genauso distanzieren müsse wie von politisch oder sozial motiviertem En­ gagement, übernehmen die Dichter vor allem von Friedrich Nietzsche (1844–1900) und Charles Baude­ laire (1821–67). Ernst Mach (1838–1916) und Sigmund Freud (1856–1939) werden zu weiteren großen Anre­ gern der Epoche. Nietzsche: „Die Kunst, nichts als die Kunst!“ Können Religion, Moral, Ethik, Philosophie, Wissen­ schaft dem Leben Sinn geben? Nietzsche verneint das entschieden. Dem „Durchschnittsmenschen“ mögen sie vielleicht so etwas wie Orientierung liefern. Der aus der Masse herausragende „Übermensch“ hat nur ein Mittel, den „Durchschnittsmenschen“ in sich zu überwinden und der Geistlosigkeit zu entkommen: die Kunst. Sie gibt die Freude am Leben: „Die Kunst und nichts als die Kunst! Sie ist die große Ermöglicherin des Lebens, die große Verführerin zum Leben, das große Sti- mulans des Lebens!“ Unmittelbare Zwecke, besonders religiöser, politischer oder moralischer Art, darf solche Kunst nicht haben. An moralische Maßstäbe muss sie sich nicht halten. Die Kunst ist nur für die Kunst da: 1890/91  Hermann Bahr: „Zur Kritik der Moderne“ und „Die Überwindung des Naturalismus“ – Programm- schriften der „Wiener Moderne“ gegen eine sozial oder politisch engagierte Literatur. 1920  Mit dem Ersten Weltkrieg und den darauf folgenden Krisen wendet sich die Literatur neuerlich der Politik zu und schreibt gegen Krieg, Natio­ nalismus, für soziale Gerechtigkeit und Pazifismus. Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=