Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

262 Naturalismus (1885–1900) Maturaraum 12 Für Ihre schriftliche Reifeprüfung/Reife- und Diplomprüfung Der dunkle Abgrund der sozialen Verhältnisse Als „Dichter der Armut“ bezeichnet sein Herausgeber den Wiener Arbeiterdichter Alfons Petzold (1882–1923). Dies ist in doppeltem Sinn zu verstehen. Petzolds Familie ist verarmt, der Vater stirbt früh, die Mutter holt sich als Toilettenfrau in einer zugigen öffentlichen Bedürfnisanstalt fast den Tod. Der Sohn ist lungenkrank, den brutalen Arbeitsbedingungen an immer rascher wechselnden Arbeitsplätzen nicht gewachsen, weder als Lehrling noch als Hilfsarbeiter. Aber er ist wissbegierig, die Einrichtungen der Wiener Arbeiterbildung nutzt er mit Eifer und beginnt schließlich selbst zu schreiben. Fast „selbstverständlich“ ist die Armut auch das Hauptthema seines autobiografischen Romans „Das rauhe Leben“. Im folgenden Abschnitt überbringt der Ich-Erzähler einen Brief, aufgrund dessen ihm die Empfängerin von ihrem Bruder Pepi und dessen kleiner Tochter Roserl erzählt. Thema: Der Roman der „Arbeiterliteratur“ als soziale Anklage Aufgabe: Alfons Petzold: Das rauhe Leben. Der Roman eines Menschen. (1920) Verfassen Sie eine Textinterpretation. Lesen Sie den Ausschnitt aus dem Roman „Das rauhe Leben. Der Roman eines Menschen“. Der Text wird Ihnen in Originalschreibung präsentiert. Verfassen Sie nun die Textinterpretation und bearbeiten Sie dabei die folgenden Arbeitsaufträge: ■■ Fassen Sie die Beschreibung der Briefübergabe und den Bericht der Frau zusammen. ■■ Untersuchen Sie die beiden Sprachebenen des Textausschnittes. ■■ Interpretieren Sie die aus dem Dargestellten ableitbare soziale Situation der Personen. Schreiben Sie zwischen 540 und 660 Wörter. Alfons Petzold: „Das rauhe Leben. Der Roman eines Menschen.“ Die Frau, welche auf mein Klopfen behutsam öffnete, war vielleicht fünfunddreißig Jahre alt, nicht dick, nicht mager und mit einem prächtigen Schnurrbart bedacht, der ihrem an und für sich nicht freundlichen Gesicht einen noch strengeren Ausdruck verlieh. Ich übergab ihr den Brief, worauf sie mich brummig ein- lud, ihr zu folgen und vielleicht auf eine Antwort zu warten. Wir kamen durch einen stockdunklen Raum, der, nach dem muffig-sauren Geruch zu schließen, eine Küche sein musste, in ein armselig eingerichtetes Zimmer. Die Politur der Möbel war abgewetzt, große Sprünge durchzogen an vielen Stellen das Holz. Ich setzte mich auf das Geheiß der Frau auf einen wackli- gen Stuhl. Sie setzte sich, beim Fenster stehend, um- ständlich eine Brille auf und begann den Brief ihres Bruders zu lesen. Kaum hatte sie einige Zeilen heraus- buchstabiert, als sie erregt ausrief: „Jetzn habn dö Lua- dan in armen Pepi, a no am Gwissen!“ Nachdem sie den Brief beendet, fragte sie mich, in- dem sie die Arme in die Hüften stemmte: „Was sagn S’ zu so aner Gemeinheit von die Sauviecher? Ha? Passens auf, dö Bestien wem ihm no amal zgrund- 5 10 15 20 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=