Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

259 Naturalismus (1885–1900) deutsche Adel geht auf in Pferdezucht und Hunde- dressur. Er veredelt die Tierrassen, aber seine eigne Rasse degeneriert immer mehr. […] Die Regierung hat für die Kunst kaum einen Bettelpfennig. Vom Minister bis zum Droschkenkutscher haben in Deutschland nicht tausend Menschen Verlangen, Liebe, Verständnis für die Kunst. Unsere feile, bestochene Presse unterdrückt die echte Kunst, wo sie kann, […]. Wir verlangen, dass die Kunst überall, bei allen öffentlichen und höfischen Akten in gleicher Weise vertreten sei wie alle anderen Gebiete menschlicher Tätigkeit, die Wissenschaft, die Religion, die Verwaltung, das Heerwesen, und dass sie […] eine ihrer kulturellen Bedeutung angemesse- ne Stellung angewiesen erhalte […]. Und es kann dem Staate keineswegs gleichgültig sein, wie seine Bürger ihre Abende zubringen, ob ihr Gemüt durch den Besuch unanständiger Pantomimen, frecher Tingeltangel mit geschlechtskranken Künstlerinnen, roher Tierhetzen, frivoler 1 , die Unsittlichkeit verherrlichender Pariser Schauspiele systematisch verroht, verflacht, verseucht oder in ernsten und gewaltigen, aus dem reinen Leben geschöpften Schauspielen zu einer tieferen […] Auffassung des Daseins geführt wird. ■■ Analysieren Sie, was der Kaiser von der Kunst verlangt und welche Aufgabe die Kunst für die „unteren Stände“ erfüllen soll. ■■ Bestimmen Sie, welches politische Ziel eine solche Forderung an die Kunst hat und welche nationalen Klischees und Vorurteile über andere Völker der Text enthält. ■■ Der zweite Text enthält im Vergleich zur Rede des Kaisers spiegelbildlich verkehrte natio­ nale Vorurteile. Analysieren Sie, gegen wen sich diese pauschale Voreingenommenheit im Einzelnen richtet. ■■ Untersuchen Sie die inhaltlichen Antithesen des Textes und geben Sie Albertis Forderung wieder. Grenzenlos Die Faszination von Schmerz, Trauer, Unglück in der Literatur Gibt es in der Literatur nur „Liebe“ und „Tod“? Blättern Sie in den „Literaturräumen“ nach dem Zu­ fallsprinzip zurück. Sei es in der Literatur des Mittel­ alters, in den „Faust-Fenstern“, in Renaissance, Barock, Aufklärung, Sturm und Drang, überall sind Sie tragi­ schen und traurigen Themen begegnet, und zwar in viel höherem Ausmaß als amüsanten oder lustigen. Auch im Naturalismus gaben diese Themen den Ton an. Ähnlich wird es sein, wenn Sie sich den kommen­ den literarischen Epochen bis zur Gegenwart widmen. Der bekannte deutsche Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki betont überhaupt, dass sich die Literatur ei­ gentlich nur um zwei Themen drehe, um Liebe und Tod. Tragische Themen: geschätzt seit Beginn der Literatur Seit ihren Ursprüngen zeigt die Dichtung Vorliebe für Trauriges, Scheitern, Düsteres und Unlösbares. Dies gilt für das erste Epos der Menschheit, das Gilga­ mesch-Epos aus dem 3. Jahrtausend v. Chr., genauso wie für die Epen Homers und die ersten dramatischen Werke. In der griechischen Antike wurde der Tragödie ein viel höherer Rang zuerkannt als der Komödie. Das Scheitern ist meist packender als das Gelingen Ohne Zweifel ist es bedrückend, wenn ein Held/eine Heldin scheitert. Vor dem Scheitern herrschen Furcht, Ratlosigkeit, Ungewissheit, danach Schmerz, Enttäu­ schung, Trauer. Und dennoch werden die Leser/Leserin­ nen oder Zuschauer/Zuschauerinnen von Furcht, Schmerz, Trauer mehr gepackt, als wenn ein erhofftes 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 1 gewagt, anstößig 36 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Fokus Grenzenlos Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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