Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

25 Hochmittelalter (1170–1250) Einmal lag er tagsüber wie so oft in ihren Armen. […] Sie dachte, dass er schliefe, seufzte tief, sah in innig an und sprach: „Armer Mann, wehe dir und wehe mir unglücklicher Frau, dass ich so manche Schmährede hören muss.“ Doch Erec hatte ihre Worte gehört. […] Und als er vernahm, wovon die Rede war, sprach er: „Es ist genug.“ Sogleich gebot er ihr aufzustehen und das beste Gewand anzuziehen, das sie hatte. Seinem Knappen befahl er, das Pferd bereitzustellen. Die Ritterehre muss wieder hergestellt werden Erec demonstriert in vielen Aventiuren seine ritterli­ che Bewährung, erleidet „nôt“ und „arebeit“ (Mühe), erprobt seine „erbermde“ (Mitgefühl). Nach dem letz­ ten siegreichen Kampf kehrt er mit seiner Frau zurück in sein Königreich und herrscht dort in Glück und Har­ monie. Er hat die Forderung an den Ritter, für die Ge­ meinschaft tätig zu sein, wieder erfüllt. „Iwein“: Ein Ritter „verreitet“ sich Iwein, die Hauptfigur von Hartmanns zweitem Epos aus der Welt des Artuskreises, ist der Gegenpol zu Erec. Auch Iwein verstößt gegen Grundideen des höfi­ schen Lebens. Er liebt die Aventiuren zu sehr und lässt es an „triuwe“ gegenüber seiner Frau mangeln. Wäh­ rend Erec sich „verliget“, „verrîtet“ Iwein sich. Aber auch an „erbermde“ fehlt es ihm: Er verletzt das Recht der Schwachen auf Schutz und Schonung, tötet einen Fliehenden gegen jede ritterliche Übereinkunft. Doch auch hier gibt es ein gutes Ende, da Iwein sein Verge­ hen gegen den ritterlichen Verhaltenscodex einsieht. 2 4 6 8 10 12 14 16 Die Aventiure Die Welt der Helden in den höfischen Epen ist das Abenteuer, die Aventiure. Das Wort kommt aus dem vulgärlateinischen adventura: „das, was kommen muss“. Sie ist eine Tat ohne unbedingten Zweck. Ihr Sinn ist die Leistung als solche. Die Aventiure führt immer wieder ins Wunderbare, Märchenhafte, ins Reich der Riesen, Zwerge, Ungeheuer, wo der Ritter seine Ideale verwirklichen kann. Gleichzeitig versetzt sie das Publikum in Erstaunen und befriedigt sein Bedürfnis nach Unerwartetem und Sensationellem. Info Projekt: Hartmanns „Der arme Heinrich“ als Klassenlektüre: eine Erzählung von Glück und Unglück mit einer verblüffenden Wendung Hartmann präsentiert den Helden seiner Erzählung auf sehr enthusiastische Weise. Heinrich verkörpert das Ideal adeliger Bildung, sein Lebenswandel ist ohne Makel. Inmitten seiner persönlichen und gesell­ schaftlichen Vollkommenheit befällt Heinrich plötz­ lich der Aussatz, die Lepra: „ihn ergreif diu miselsuht“ . Sein Vergehen: Er hatte vergessen, dass Ansehen und Glück nur von Gott geschenkt waren, hochmütig hatte er geglaubt, nichts könne ihn aus seinem „wunschleben“ stürzen. Heinrich, nun zum „armen Heinrich“ geworden, fährt in die Zentren der damali­ gen medizinischen Wissenschaft, nach Montpellier und Salerno. Die Diagnose, die er dort bekommt, ist niederschmetternd: Nichts kann ihn heilen als das Herzblut eines Mädchens: „mir wære niht anders guot, wan von ir herzen das bluot.“ Der Text umfasst nur 1.520 Verse – „Erec“ hat 10.130 Ver­ se, „Iwein“ 8.165, „Tristan“ 19.550, „Parzival“ 24.694 Ver­ se –, kann also auch bei geringem Zeitbudget gelesen werden. Er liegt in vielen Taschenbuchausgaben vor. Empfehlenswert, aber kein Muss ist eine Ausgabe mit mittelhochdeutschem und neuhochdeutschem Text. Lesen Sie in Gruppen folgende entscheidende Stellen: Heinrich erzählt seinem Bauern und dessen Mädchen von der einzigen Heilungsschance (Vers 374–358) Das Mädchen will seine Eltern überzeugen, sich zu op- fern (Vers 459–902) Die Unschlüssigkeit Heinrichs, ob er das Opfer anneh- men soll (Vers 904–1036) Die Warnungen des Arztes vor der „Operation“ (Vers 1053–1179) Das Umschwenken Heinrichs (Vers 1180–1280) Die Reaktion des Mädchens (Vers 1285–1341) Die überraschende Wende (Vers 1353–1404) Das Ende (Vers 1430–1520) Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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