Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

230 Poetischer Realismus (1850–1900) schafft Georg und Tertschka im südsteirischen Ehren­ hausen ein „einsames Bahnwärterhaus“ , mit einem Feld, „mit Mais und Gemüse bepflanzt […], und vor der Tür, umfriedet von einer dichten Bohnenhecke, blühen rötliche Malven und großhäuptige Sonnenblumen“ . Tadel und Lob für Saar Für dieses Umbiegen der Sozialkritik in die sentimen­ tale Idylle ist Saar von der Literaturkritik oft getadelt worden. Der Vorwurf: Mit der zufälligen netten Tat des Militärrichters allein können die Verhältnisse nicht ge­ ändert werden. Von anderen Kritikern wird darauf hin­ gewiesen, dass „Die Steinklopfer“ immerhin das Ver­ dienst haben, die erste deutsche Novelle zu sein, die sich mit dem Thema „Arbeiter“ befasst. Andere, wie der bedeutende Dichter der Wiener Moderne Hugo von Hofmannsthal, schätzten Saar als Dichter „ohne Heftigkeit, ohne anklagendes Pathos“ , seine Menschen verkörperten diese „innerliche, empfindungsfeine […] österreichische Grundstimmung“ . 2 „Schad um den Hund!“ Marie von Ebner-Eschenbach: „Krambambuli“ (1884) Der Hund heißt wie der Schnaps Aus Wacholder, in manchen Gegenden „Kranewitt“ ge­ nannt, wird vielerorts Schnaps gemacht. Zu „Krane­ witt“ gehört auch das Wort Krambambuli, das einen solchen Schnaps bezeichnet. Für 12 Flaschen Schnaps erhält der Revierjäger Hopp im Wirtshaus den Hund „Krambambuli“ von einem heruntergekommenen Kerl, „noch jung und doch so fahl wie ein abgestorbener Baum, mit gelbem Haar und gelbem spärlichem Bart“ . Der Kauf ist vollzogen, Hopp verlässt das Wirtshaus: Dem Jäger lachte das Herz im Leibe über den prächtigen Handel, den er gemacht. Er stand nun auf, ergriff die Leine, die zu verknoten dem Vazieren- den 1 endlich gelungen war, und fragte: „Wie heißt er denn?“ – „Er heißt wie das, wofür Ihr ihn kriegt: Krambambuli“, lautete die Antwort. – „Gut, gut, Krambambuli! So komm! Wirst gehen? Vorwärts!“ – Ja, er konnte lange rufen, pfeifen, zerren – der Hund gehorchte ihm nicht, wandte den Kopf demjenigen zu, den er noch für seinen Herrn hielt, heulte, als dieser ihm zuschrie: „Marsch!“ und den Befehl mit einem tüchtigen Fußtritt begleitete, suchte sich aber immer wieder an ihn heranzudrängen. Erst nach einem heißen Kampfe gelang es Herrn Hopp, die Besitzergreifung des Hundes zu vollziehen. Gebunden und geknebelt musste er zuletzt in einem Sacke auf die Schulter geladen und so bis in das mehrere Wegstunden entfernte Jägerhaus getragen werden. Zwei volle Monate brauchte es, bevor der Krambambuli, halb totgeprügelt, nach jedem Fluchtversuche mit dem Stachelhalsband an die Kette gelegt, endlich begriff, wohin er jetzt gehöre. Dann aber, als seine Unterwerfung vollständig geworden war, was für ein Hund wurde er da! Keine Zunge schildert, kein Wort ermisst die Höhe der Vollendung, die er erreichte, nicht nur in der Ausübung seines Berufes, sondern auch im täglichen Leben als eifriger Diener, guter Kamerad und treuer Freund und Hüter. Auf zwölf Seiten komprimiert die Autorin nun die es­ kalierenden Auseinandersetzungen: die Ermordung des Oberförsters, der Tod des „Gelben“, das elende Ver­ enden des Hundes vor der Türschwelle des Jägers Hopp – „der Jäger verschmerzte ihn nie“. Szenenbild aus dem österreichischen Spielfilm „Krambambuli“, 2002 2 4 6 8 10 12 14 16 18 1 Vagabunden 20 22 24 26 28 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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