Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

23 Hochmittelalter (1170–1250) Höfisches Epos und Minnesang haben Gemeinsames Die Liebe – mittelhochdeutsch „minne“ – ist ein Haupt­ thema der höfischen Literatur. Sie ist Dienst an der Dame. In den höfischen Epen dient ihr der Held auf rechte Weise durch die Abenteuer, die er für sie be­ steht. Im Minnesang geschieht dies durch die Lieder, welche die Dame preisen. Dass die Frau in der Litera­ tur in dominanter Position erscheint, hat freilich we­ nig zu tun mit dem tatsächlichen sozialen Stellenwert der Frau in der Alltagsrealität. Der Minnesang und seine Herkunft Die Minnelyrik tritt um 1160 unvermittelt in die deut­ sche Literatur. Die Wissenschaft sieht verschiedene Wurzeln als möglich an: volkstümliche Lieder der Zeit, lateinische Lieder von Klerikern und Scholaren (Ange­ hörige der Dom- und Klosterschulen), die auch oft „Va­ gantenlyrik“ genannt werden, Lyrik aus der arabisch geprägten Hofkultur Spaniens oder die lateinische frühmittelalterliche Lyrik der Marienverehrung. Erste Minnelyrik findet sich Ende des 12. Jahrhunderts in der Provence, gesungen von den Trouvères, und im nördli­ chen Frankreich, wo die Troubadours ihre Gesänge vortrugen. Die Formen des Minnesangs Die Minnelieder entstehen nicht aus subjektiven An­ lässen, sie sind bis ins Einzelne in Sprache, Form und Inhalt genormte Texte, in denen die Rollen vorgege­ ben sind: die Dame als Angebetete, der Dichter als – freilich nur fiktiv im Text, nicht in der Realität – um sie Werbender. Allerdings gibt es bei den Dichtern Auffas­ sungsunterschiede, ob und wie weit die in den Lie­ dern besungene Zuneigung zur Frau auch gelebt wer­ den darf oder auf die Literatur beschränkt sein soll. Dies zeigen die deutlichen Differenzen zwischen den Liedern des frühen donauländischen Minnesangs und deren Vertretern Dietmar von Aist und Dem von Küren- berg (um 1160 bis 1175), die von erfüllter Liebe singen (4), und der Minneauffassung eines Reinmar von Ha­ genau (um 1170 bis 1205), der in seinen Minneliedern gerade die unerfüllte Sehnsucht nach der Dame preist. Walther von der Vogelweide (um 1170 bis 1220) akzep­ tiert im Gegensatz zu Reinmar Minne nur als gegen­ seitige Beziehung (5) . Walther feiert die „Ebene Min­ ne“ zwischen sozial Gleichgestellten, während Rein­ mars „Hohe Minne“, die sich nur an adelige Damen richtet, auf erotische Erfüllung verzichtet. In den Lie­ dern Neidharts von Reuental (um 1180 bis 1240) agie­ ren nicht mehr Ritter und adelige Damen, sondern Dorfburschen, Bauernmädchen und, sehr ironisch dar­ gestellt, auch ältere Frauen, welche die Maienluft zur Suche nach der Liebe anstachelt. Die Spruchdichtung Der Richtlinie, dass das Leben des Ritters harmonisch zwischen weltlichen Belangen und der Hinwendung zu Gott verlaufen möge, war schwer zu folgen. Dazu trug der Kampf zwischen Kaiser- und Papsttum um die geistige und politische Herrschaft dieser Epoche eben­ so bei wie die meist schwierige wirtschaftliche Situa­ tion der Dichter, die von Hof zu Hof ziehen mussten, um ihren Unterhalt zu sichern. Die Sprüche Walthers von der Vogelweide berichten von den politischen Kämpfen und den Nöten der Dichter (6) . Das Heldenepos Von der Gefährdung der höfischen Ideale gibt auch das Heldenepos Zeugnis. Das Nibelungenlied (7) lässt die brutale Realität hinter der idealen Welt der Ritter durchscheinen. Während die höfischen Epen grund­ sätzlich ein gutes Ende haben, dominieren im Nibe­ lungenlied bis zum Schluss Mord, Rache, Gewalt, Lüge und Hinterlist als Methoden der Konfliktlösung und führen in den Untergang. Die große Zahl von 40 mittel­ alterlichen Handschriften zeigt die Beliebtheit des Ni­ belungenlieds und beweist das lange Fortleben der alten germanischen Welt unter der Oberfläche der rit­ terlichen und christlichen Tugenden. Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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