Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

226 Poetischer Realismus (1850–1900) Der Abschied vom Idealismus: Feuerbach und Schopenhauer Feuerbach: Der Mensch hat Gott erschaffen, nicht umgekehrt Ludwig Feuerbach (1804–72) geht davon aus, dass der Mensch unvollkommen ist, gegenüber vielen Heraus­ forderungen ohnmächtig, sündhaft. Doch der Mensch möchte allen Herausforderungen gewachsen, positiv und vollkommen sein. Das, was er sein möchte, proji­ ziert er auf einen Begriff, den er „Gott“ nennt. Gott ist für Feuerbach ein Produkt der psychischen und physi­ schen Situation des Menschen. Nicht Gott hat also den Menschen geschaffen, der Mensch hat Gott als Projek­ tion seiner Wünsche kreiert. Gott ist das, was der Mensch nicht ist, aber sein will. Das Diesseits ist die einzige Wirklichkeit, der Mensch selbst ist Materie: „Der Mensch ist, was er isst“ , formuliert Feuerbach. Den vom Menschen geschaffenen Gottesbegriff hält Feuerbach allerdings nicht für unnütz. Im Gegenteil, der Mensch soll die Verwirklichung dieses Ideals an­ streben. „Homo homini deus“ – der Mensch soll dem Menschen ein Gott sein – lautet das höchste Gebot in Feuerbachs Hauptwerk „Das Wesen des Christentums“ (1841). Schopenhauer: Unser Wille ist wie das Wasser Während Feuerbach an die Möglichkeit einer morali­ schen Entwicklung des Menschen glaubt, ist das Den­ ken Arthur Schopenhauers (1788–1860) resignierend pessimistisch. Die Menschheit befindet sich im Kampf aller gegen alle. Schuld daran ist der in jedem wirksa­ me „Wille zum Leben“ . Willensfreiheit ist, wie Schopen­ hauer in seinem Werk „Die Welt als Wille und Vorstel­ lung“ (1819) zu beweisen sucht, eine Illusion. Alles, was wir tun, geschieht unter dem Einfluss von Ursachen, die nicht in unserer Macht liegen. Schopenhauer ver­ gleicht den Willen mit dem Wasser. So wie es von äu­ ßeren Umständen abhängt, ob das Wasser Wellen macht, ruhig daliegt oder als Brunnenstrahl aufsteigt, so ist es auch mit dem Willen. Auch er ist von äußeren Umständen abhängig, gegen die er nichts ausrichten kann. Würde man von Willensfreiheit sprechen, so wäre das geradeso, als wenn das Wasser spräche: „Ich kann hohe Wellen schlagen (Ja! nämlich im Meer und Sturm.) Ich kann reißend hinabeilen (Ja! nämlich im Bette des Stroms), ich kann schäumend und spru- delnd hinunterstürzen (Ja! nämlich im Wasserfall), ich kann frei als Strahl in die Luft steigen (Ja! nämlich im Springbrunnen) usw.; tue jedoch von dem allen jetzt nichts, sondern bleibe freiwillig ruhig und klar im spiegelnden Teiche!“ Fassen Sie die Bedeutung der Bildung für das Bürgertum, die Ursachen für den Boom der klassischen Literatur sowie die Thesen Feuer­ bachs und Schopenhauers zusammen. Die Literaturübersicht Keine Utopien, keine Experimente, keine „nackte“ Darstellung der Wirklichkeit Nicht alles darstellen Zu den Autoren, die das Ziel des poetischen Realismus definierten, gehört Theodor Fontane (1819–98). In der Schrift „Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848“ stellt er 1853 das literarische Programm des Realismus vor. Eingangs warnt Fontane vor Tendenzen, die glau­ ben machen, die Literatur sei ohnehin am Ende: „Es gibt neunmalweise Leute in Deutschland, die mit dem letzten Goetheschen Papierschnitzel unsere Litera- tur für geschlossen erklären.“ Dann entwickelt Fontane seine Vorstellungen von Dichtung: Weder idealistische Spekulationen wie etwa bei Schiller, literarische Expe­ rimente wie in der Romantik noch politische Utopien wie in der Literatur des Vormärz, aber auch nicht 2 4 6 8 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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