Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

225 Das Fundament Die enttäuschten Hoffnungen des Bürgertums „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!“ In Wien war die Revolution von 1848 im Oktober end­ gültig niedergeschlagen worden, in Preußen einige Tage später. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. lässt Anfang November seine Truppen in Berlin einrü­ cken, die letzten Revolutionäre erschießen oder ver­ haften und die Nationalversammlung auflösen. „Ge- gen Demokraten helfen nur Soldaten!“ , soll der Preu­ ßenkönig angeblich ausgerufen haben. Das liberale Bürgertum hatte sich für eine Verfassung und demo­ kratische Rechte eingesetzt, es wendet sich nun nach dieser politischen Enttäuschung weitgehend von der Politik ab. Die rasche wirtschaftliche Entwicklung, von der vor allem das Bürgertum profitiert, begünstigt die­ sen Prozess. Wirtschaftliche Dominanz und Bildung als Ersatz für politische Macht Im Gegensatz zur politischen Stagnation kam es in Deutschland, weniger in Österreich, zu einem stürmi­ schen Wirtschaftsaufschwung. Innerhalb des Bürger­ tums entwickelte sich eine Schicht von Industriegrün­ dern, deren Namen heute noch ein Begriff sind, wie zum Beispiel Krupp, Zeiss, Siemens. Der Begriff „Bür­ ger“ wird zu einem aus der dominanten wirtschaftli­ chen Stellung abgeleiteten Ehrentitel. Von seiner wirt­ schaftlichen Vormachtstellung leitet das Bürgertum auch moralische Überlegenheit ab. Bildung soll einer­ seits den Bürger vom Adel abheben, aber auch vom angeblich „nackten Materialismus“ der Proletarier. De­ ren soziale Forderungen wurden 1848 mit dem „Kom­ munistischen Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels formuliert. Die Klassik boomt Im Bürgertum boomte im Zusammenhang mit dem Bewahren der kulturellen Tradition die Klassikerlektü­ re. Begünstigt wurde dies durch eine wirtschaftspoliti­ sche Entscheidung. 1867 trat ein Gesetz in Kraft, wo­ nach rückwirkend das urheberrechtliche Nachdruck­ verbot von Werken nach 30 Jahren erlosch. Durch diese Regelung wurden nun die Werke der Klassiker frei druckbar. Das brach vor allem das Monopol des be­ herrschenden Klassikerverlages Cotta. Eine ganze Rei­ he von Verlagen beteiligte sich am Konkurrenzkampf um die Klassiker. Günstige Ausgaben kamen auf den Markt. Als langfristig erfolgreichstes Unternehmen er­ wies sich Reclams Universal Bibliothek. Der erste Titel war Goethes „Faust I“, von dem innerhalb von vier Mo­ naten 20.000 Exemplare verkauft wurden. Durch­ schnittsauflagen „anspruchsvollerer“ Literatur beliefen sich damals auf 750 Stück. Heute wird „Faust I“ durch­ schnittlich 75.000-mal pro Jahr als „Reclamtext“ ver­ kauft. 1850  Das Scheitern der Revolution von 1848 führt in der Literatur zu einer illusionslosen Darstellung der Wirklichkeit. Das Bürgertum, Träger der Literatur, versucht seine fehlende politische Bedeutung durch Kunst, Bildung, wirtschaftliche Macht auszugleichen. 1898  gilt als „Orientierungsdatum“ für das Ende des poetischen Realismus; in diesem Jahr sterben als dessen letzte Vertreter Theodor Fontane und Conrad Ferdinand Meyer. Aber schon seit den späten 1880er-Jahren gibt es naturalistische Tendenzen in der Literatur, welche die sozialen Probleme als wichtigstes Thema auffassen. Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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