Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
219 Biedermeier/Vormärz (1820–1848) Musik, Dichtung sind unvollkommen. Reger urteilt auch über Stifter: Als ich mich vor einem Jahr präzise und radikal mit Stifter beschäftigte, traute ich meinen Augen und Ohren nicht. Ein so fehlerhaftes und stümperhaftes Deutsch oder Österreichisch, wie Sie wollen, habe ich vorher in meinem ganzen Geistesleben nicht gelesen bei einem solchen ja heute tatsächlich gerade wegen seiner gestochenen und klaren Prosa berühm- ten Autor. […] Wenn wir Stifter mit dem Rotstift zu lesen anfangen, kommen wir aus dem Korrigieren nicht heraus, sagte Reger. Hier hat kein Genie zur Feder gegriffen, sagte er, sondern ein übler Stümper. […] Alle unsere Schriftsteller, ohne Ausnahme, reden und schreiben heute immer nur begeistert von Stifter und hängen ihm an, als wäre er der Schriftstel- lergott der Jetztzeit. Entweder diese Leute sind dumm und haben keinerlei Kunstgeschmack und verstehen von Literatur nicht das Geringste, oder sie haben eben, was ich leider zuerst glauben muss, Stifter nicht gelesen, sagte er […]. ■■ Bestimmen und bewerten Sie die von Bernhard an Stifter gerichteten Vorwürfe. ■■ Benennen Sie die stilistischen Auffälligkeiten von Bernhards Sprache. Jelinek kontra, Handke pro Stifter Natürlich sind, entgegen Bernhards Behauptung, nicht alle österreichischen Autorinnen und Autoren „immer nur begeistert von Stifter“ . Sehr kritisch ist El friede Jelinek. In „Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr“ heißt es in direkter Gegenposition zu Stifter: „Alles ist Laune an der Natur. Nichts Gesetz und schon gar nichts sanft.“ Unter den von Stifter „begeisterten Schriftstellern“ ist Peter Handke zu nennen. Viele seiner Werke bringen Landschaftsschilderungen, welche die Anregung Stif ters zeigen. In einer Studie befasst sich Handke mit dem Biedermeier. Grillparzer sei „absolut verkannt worden. Er war zu tiefgründig, zu scharfsinnig, zu scho- nungslos. Er war nicht nett, […] er war nicht unterwür- fig […].“ Stifter ist für Handke der „meiner Meinung nach bedeutendste österreichische Schriftsteller“. Auf Mission für Stifter „Ich bin von Beruf Stifter-Missionar. Ich bin Ordensbru- der der Stifterianer“ , sagt der österreichische Regis seur Kurt Palm über sich. Palm möchte „die Spinnwe- ben über Stifters Werk zerreißen und ihn in neuem Licht zeigen, […] seine Widersprüchlichkeit, seinen Hang zum Exzessiven, Pathologischen, Abgründigen aufzeigen. In einer Erzählung Stifters ist mehr Wirklich- keitsgehalt als in 90 Prozent unserer heutigen Bestsel- ler-Literatur.“ Palms Stifterfilm „Der Schnitt durch die Kehle“ (2004) ist ein fesselndes Stifterporträt. Machen Sie, so wie Kurt Palm es in der Folge be schreibt, Ihre persönliche „Stifter-Zufallsbekannt schaft“: Bis vor einigen Jahren wäre ich freiwillig nicht bereit gewesen, ein Buch von Adalbert Stifter zu lesen. […] Meine Einstellung zu Stifter änderte sich allerdings schlagartig, als ich Ende der achtziger Jahre durch Zufall den „Nachsommer“ las, oder, besser gesagt, lesen musste. Der Grund für diese unfreiwillige Lektüre war simpel: Für eine achttägige Autobus- durchquerung der USA […] wollte ich mir ein möglichst dickes Buch zum Lesen mitnehmen, aber anstatt Laurence Sternes „Tristram Shandy“ einzupa- cken, der im Bücherregal neben dem „Nachsommer“ stand und ebenso dick war, steckte ich irrtümlicher- weise Stifters Buch in meine Reisetasche. […] Tatsache ist, dass ich mich nach meiner Rückkehr aus den USA mehr und mehr für Stifter zu interes- sieren begann. Nehmen Sie nach dem Zufallsprinzip einen Stiftertext aus einer Bibliothek oder kaufen Sie eine der günstigen Taschenbuchausgaben, nehmen Sie den Text mit auf eine Reise, in den Bus, an den Strand, zum Wandern, in die Straßenbahn, ins Café … und lesen Sie! 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Aufgabe 2 4 6 8 10 12 14 16 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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