Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
209 Biedermeier/Vormärz (1820–1848) („Katzensilber“), Krieg („Bergmilch“). „Bergkristall“, die bekannteste Erzählung aus den „Bunten Steinen“, bringt die unheimliche Spannung zwischen Mensch und Natur zum Ausdruck. „Bergkristall“: Weihnachten im Eis Die Handlung ist einfach: Zwei Kinder, Konrad und Sanna, begeben sich am Weihnachtstag auf den Heimweg vom Besuch der Großmutter im Nachbar dorf. Sie geraten in einen starken Schneefall, der ih nen jede Orientierung nimmt. Lautlos und unmerklich senkt sich die Katastrophe über die beiden. Sie haben sich ausweglos verirrt. Das Zeichen dieser Katastro phe ist das vollkommene Schweigen der Natur, nichts Lebendiges oder gar Menschliches ist spürbar. Eine „einzige weiße Finsternis“ herrscht, „rings um sie nichts als das blendende Weiß, überall das Weiß, das aber selber nur einen immer kleineren Kreis um sie zog, und dann in einen lichten, streifenweise niederfallenden Nebel überging, der jedes Weitere verzehrte und ver- hüllte, und zuletzt nichts anderes war als der unersätt- lich niederfallende Schnee“ . In ihrer Orientierungslo sigkeit kommen die Kinder bis an das Eis des Glet schers, verloren in einer fremden, unbewohnbaren Natur: „Sie waren winzig kleine wandelnde Punkte in diesen ungeheuern Stücken.“ Den Kindern, die kein wirkliches Bewusstsein von der Todesgefahr haben, zeigt sich auch die Schönheit dieser „unmenschli chen“ Welt. Doch neben ihrer Grausamkeit bietet die Natur auch Schutz: In einer Gletscherhöhle verbrin gen die Kinder die Nacht, sehen fasziniert das Schau spiel des Nordlichts und das Drehen des Sternenhim mels. Dank der Suche der Bewohner beider Dörfer werden sie am nächsten Vormittag gerettet. Die bis her miteinander rivalisierenden Dörfer beenden nun auch ihren lange andauernden Streit. 5 „Ein so genannter ordentlicher Säufer“ Annette von Droste-Hülshoff: „Die Judenbuche“ (1842) Niemand entkommt „Die Judenbuche“ ist eine auf einer wahren Begeben heit beruhende Erzählung, in der nicht nur der Täter Friedrich Mergel, Mörder an einem Juden, Schuld auf sich lädt, sondern die gesamte Gesellschaft des Dorfes B. Die Dorfgesellschaft lässt niemanden aus der bruta len sozialen Ordnung ausbrechen. Die Autorin schil dert, wie Milieu und Vererbung den Menschen prägen. Sie finden hier die Anfänge der Erzählung – die Her kunft Friedrich Mergels – und Ideen für eine Analyse des Ganztextes. […] Friedrichs Vater, der alte Hermann Mergel, war in seinem Junggesellenstande ein so genannter ordentlicher Säufer, d. h. einer, der nur an Sonn- und Festtagen in der Rinne lag. […] So war denn auch seine Bewerbung um ein recht hübsches und wohlhabendes Mädchen ihm nicht erschwert. Auf der Hochzeit ging’s lustig zu. […] Aber am nächsten Sonntage sah man die junge Frau schreiend durchs Dorf zu den Ihrigen rennen, alle ihre guten Kleider und neues Hausgerät im Stich lassend. Das war freilich ein großer Skandal und Ärger für Mergel, der allerdings Trostes bedurfte. So war denn auch am Nachmittage keine Scheibe an seinem Hause mehr ganz, und man sah ihn noch bis spät in die Nacht vor der Türschwelle liegen, einen abgebrochenen Flaschenhals von Zeit zu Zeit zum Munde führend. […] Die junge Frau blieb bei ihren Eltern, wo sie bald verkümmerte und starb. […] Mergel war und blieb ein verlegener und zuletzt ziemlich armseliger Witwer, bis er mit einem Male wieder als Bräutigam auftrat. […] Margret Semmler war eine brave, anständige Person, so in den Vierzigern, in ihrer Jugend eine Dorfschönheit und noch jetzt als sehr klug und wirtlich geachtet, dabei nicht unvermö- gend; und so musste es jedem unbegreiflich sein, was sie zu diesem Schritte getrieben. […] Am Abend vor der Hochzeit soll sie gesagt haben: „Eine Frau, die von ihrem Manne übel behandelt wird, ist dumm oder taugt nicht: wenn’s mir schlecht geht, so sagt, es liege an mir.“ Der Erfolg zeigte leider, dass sie ihre Kräfte überschätzt hatte. Anfangs imponierte sie ihrem Manne; er kam nicht nach Haus oder kroch in die Scheune, wenn er sich übernommen hatte; aber das Joch war zu drückend, um lange getragen zu werden, und bald sah man ihn oft genug quer über die Gasse ins Haus taumeln, hörte drinnen sein 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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