Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

200 Biedermeier/Vormärz (1820–1848) In ruhigen Zeiten, wo die Menschen ihren Geschäften nachgehen, gelingt es auch immer, wenn die Gesetze und Ämter gut sind, […] verbrecherische […] Menschen im Zaume zu halten und das Land vor großen [!] Schaden und vor Unsicherheit zu bewahren. Aber fürchterlich und ein wahrhaftes Verderben werden solche Menschen, wenn die Ruhe des Landes gestört wird und eine Revolution entsteht. Es ist zuweilen wahr, dass Gesetze und Anstalten […] einer Verbesserung bedürfen, da geschieht es auch manch- mal, dass die Forderungen so laut werden, dass sich die Köpfe so erhitzen, dass ein Aufstand in dem Lande ausbricht. Da kommen nun diese Leute herbei, es ist ihnen eine heiß erwünschte Gelegenheit, die Gesetze, die Ämter, alle Schranken […] niederzureißen […]. Da sagen sie nun dem Volke, das sei die Freiheit, dass man alle Gesetze, die uns eingeschränkt haben, umstoße, dass man dieselben anders und zwar so mache, dass demMenschen schier alles erlaubt sei, dass man das Ansehen der Obrigkeit nicht mehr achte, sondern selber regiere, und dass man sich überhaupt unter nichts mehr beuge […]. Das Volk tut nun das, es wird selber erhitzt, die tierischen Begierden erwachen, gute Menschen tun sogar Dinge, die sie nachher bitterlich bereuen, die Volksführer beginnen zu regieren, können es nicht, greifen zu den gewaltigsten und zerstörendsten Mitteln; andere wollen es ihnen noch zuvortun, übertreiben es noch mehr, es kommt Verwirrung, Zerstörung und Ruin des Landes hervor, bis sich endlich die Menschen in Verzweiflung erheben und mit Kanonen und Waffen ein Ende machen. Das sind meistens die Ausgänge von Revolutionen, und es kommt die Militärherrschaft. Manche Freiheiten, die das Volk sonst erlangt hätte, wenn es sich mäßig und vertrauenerregend benommen hätte, werden durch jene Hetzer verdorben und verloren […]. ■■ Stellen Sie dar, welche Befürchtungen Stifter gegenüber Revolutionen hegt und welche Eskalation er als geradezu unvermeidlich ansieht. ■■ Erschließen Sie die Bedeutung der Begriffe „Nelkenrevolution“, „Rosenrevolution“, „samtene Revolution“, „Farbrevolution“, „Safranrevolution“, „Jasminrevolution“. Raimund und Nestroy: keine billige Idylle Ferdinand Raimund (1790–1836) attackiert in seinen Dramen den Materialismus, in dem der Mensch nur mehr als Konkurrent ums Geld gesehen wird, wie zum Beispiel „Der Verschwender“ (1) zeigt. Johann Nestroy (1801–62) bringt auf satirische Weise die Knebelung des Denkens auf die Bühne. Nur ein Stück konnte ohne Zensureingriffe aufgeführt werden, „Freiheit in Krähwinkel“ (2) . Die Revolution von 1848 hatte kurzzei­ tig die Aufhebung der Zensur gebracht. Von 14. März bis 11. November 1848 waren unzensiertes freies Den­ ken und Schreiben möglich. Zensur für Grillparzer Der direkte Auseinandersetzungen scheuende Franz Grillparzer (1791–1872) hatte sich bei den Behörden bald mit Gedichten unbeliebt gemacht, in denen er die Metternich-Zeit in Gegenüberstellung mit der Antike als die „neue, flache Zeit“ beschrieb. Er wurde deshalb als „Radikaler“ eingestuft, seine Stücke wurden fortan zensuriert. Das Drama „Ein treuer Diener seines Herrn“, das geistlosen Kadavergehorsam vorführt, wollte Kai­ ser Franz Joseph dem Autor sogar abkaufen, um Druck und weitere Aufführungen zu verhindern. Ohne Zen­ surbeschränkungen wurden nur Grillparzers politisch ungefährliche Dramen mit antiken Stoffen aufgeführt, wie die Trilogie „Das goldene Vließ“ (so Grillparzers Schreibung). Es besteht aus den Dramen „Der Gast­ freund“, „Die Argonauten“ und „Medea“ (3) . Dämonisches, Unglück und Utopie bei Stifter Auch die Personen in den Werken von Adalbert Stifter (1805–68) leben nicht idyllisch „biedermeierlich“. Sie sind häufig der Missachtung durch die Mitmenschen und unkontrollierbaren Mächten ausgeliefert. Rettung kommt, wenn überhaupt, in letzter Minute. Ein Bei­ spiel dafür ist Stifters Erzählungssammlung „Bunte Steine“ (4) . Auch die Bewahrung des Gleichgewichts zwischen wirtschaftlicher Nutzung der Natur und ih­ rem ästhetischen Wert ist ein Thema Stifters. Biedermeierliteratur außerhalb Österreichs Außer in Österreich entwickelte sich eine Biedermeier­ literatur in Schwaben mit dem vor allem als Lyriker wichtigen Eduard Mörike (1804–75), in der Schweiz mit Jeremias Gotthelf (1797–1854), einem kritischen Beobachter der sozialen Veränderungen im Bauernstand, und in Westfalen mit Annette von Dros- te-Hülshoff (1797–1848) und ihrer Erzählung „Die Judenbuche“ (5) . 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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