Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
185 Romantik (1795–1835) nim. Die männlichen Romantiker revoltieren zwar ge gen die Verkümmerung des Lebens in der neuen In dustriegesellschaft, doch ihre Proteste bleiben „nur“ poetisch. Sie haben keine konkreten Änderungsvor schläge. Viel konkreter ist die Kritik Bettina von Ar nims. Mit ihrer „Romantisierung“ der Welt will Bettina von Arnim nicht nur eine poetische, sondern eine reale Harmonie zwischen den Menschen herstellen. So sind auch sozialkritische Anliegen die Hauptthemen ihrer Werke, wie „Dies Buch gehört dem König“ oder im „Ar menbuch“ (1844). Das „Armenbuch“ ist eines der ersten Bücher, das reale Fakten über die elenden sozialen Verhältnisse vor allem der Weber sammelt. Die Autorin musste jedoch auf dessen Veröffentlichung verzich ten, als das preußische Militär den Hungeraufstand der schlesischen Weber niederschlug, da sie im Ver dacht der Verschwörung mit den Aufständischen stand. Ihr Freiraum wurde in dem Moment beschränkt, als sie politisch wirksam wurde. 1847 wurde sie zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, die höchste Strafe, die eine Adelige in diesem Zusammenhang erhalten konnte. Bettinas Salon blieb jedoch auch zur Zeit der striktesten Zensur eine kritische Gegenöffentlichkeit. In Zusammenhang mit dem „Armenbuch“ entstand auch Bettina von Arnims „Bergpredigt“ über die Ar mut, aus der Sie hier einen Ausschnitt finden. Beinahe zweitausend Jahre sind seitdem [= seit der Bergpredigt] verflossen und die Armen haben sich bisher beruhigen und einschläfern lassen von der Aus- sicht ins Jenseits und von den Schlummerliedern von Engeln mit Lilienstängeln in den Händen, die um ihr Schmerzenslager schwebten. Aber in den Tiefen der Zeit ist ein neuer Geist geboren […]. Ihr Toren, die ihr wähnt, dass alles, wie es ist, gut und recht und sicher sei; wenn ihr nicht blind wäret und sein wolltet, ihr würdet gewahren, dass der Boden unter euern Füßen schon zu wanken und zu zittern beginnt, wie das Meer, wenn ein Sturm heraufzieht, und dass es kein Öl gibt, das diese erregten Fluten zu glätten vermöch- te. […] Warum sollten wir hungern und dursten, während ihr im Überflusse schwelgt, mit dem unsrer Hände Arbeit euch überhäuft hat? Sind wir nicht Menschen wie ihr? Haben wir nicht Rechte wie ihr? Muss nicht schon hier eine Ausgleichung zwischen uns vor sich gehen? Ist nicht das Maß der Ungerech- tigkeit schon gehäuft voll; soll es noch höher schwel- len? Warum emanzipiert ihr die schwarzen Sklaven und ladet das Joch der Sklaverei auf die Schultern freigeborner Weißen? Haben wir nicht einen Geist wie ihr? Warum reicht ihr ihm so spärliche Nahrung? […] – Und der Staat? Sind wir nicht auch seine Kinder? Warum schließt er uns von sich aus? Warum verstößt er uns und lässt uns allein in der Wüste der Hilflosigkeit? – So könnte ein Armer fragen. Bestimmen Sie die Vorwürfe an den Staat, an die Reichen und die kritische Betrachtung der Religion! Bettinas literarisches Engagement: die Günderrode Dank Bettina von Arnims Engagement ist auch die we gen ihres psychologischen Scharfblicks heute sehr ge schätzte romantische Dichterin Karoline von Günder rode (1780–1806) nicht in Vergessenheit geraten. Betti na von Arnim veröffentlichte 1840, vierunddreißig Jah re nach dem Selbstmord der Günderrode, den Briefroman „Die Günderode“, in dem sie auf die gesell schaftlichen Schwierigkeiten hinwies, die sich einer dichtenden Frau damals entgegenstellten. Als Anhän gerin der Ideen der Französischen Revolution erhoffte sich Karoline von Günderrode die Umsetzung der Ideale „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ in die Reali tät. Doch bald sah sie ihre Hoffnungen durch die poli tische Entwicklung und vor allem durch die ge schlechtsspezifischen Einengungen als Frau ge täuscht: „Warum ward ich kein Mann! Ich habe keinen 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 Aufgabe Porträt Bettina von Arnim Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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