Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

183 Romantik (1795–1835) Eine Gaunerbande schien es darauf angelegt zu haben, alle Juwelen in ihren Besitz zu bringen. Der reiche Schmuck, kaum gekauft, verschwand auf unbegreifliche Weise, mochte er verwahrt sein wie er wollte. Noch viel ärger war es aber, dass jeder, der es wagte, zur Abendzeit Juwelen bei sich zu tragen, auf offener Straße oder in finstern Gängen der Häuser beraubt, ja wohl gar ermordet wurde. Die mit dem Leben davongekommen, sagten aus, ein Faustschlag auf den Kopf habe sie wie ein Wetterstrahl niederge- stürzt, und aus der Betäubung erwacht, hätten sie sich beraubt, und am ganz andern Ort als da, wo sie der Schlag getroffen, wiedergefunden. Die Ermordeten, wie sie beinahe jeden Morgen auf der Straße oder in den Häusern lagen, hatten alle dieselbe tödliche Wunde. Einen Dolchstich ins Herz, nach dem Urteil der Ärzte so schnell und sicher tötend, dass der Verwundete keines Lautes mächtig zu Boden sinken musste. Wer war an dem üppigen Hofe Ludwigs XIV., der nicht in einem geheimen Liebeshandel verstrickt, spät zur Geliebten schlich und manchmal ein reiches Geschenk bei sich trug? – Als stünden die Gauner mit Geistern im Bunde, wussten sie genau, wenn sich so etwas zutragen sollte. Oft erreichte der Unglückliche nicht das Haus, wo er Liebesglück zu genießen dachte, oft fiel er auf der Schwelle, ja vor dem Zimmer der Geliebten, die mit Entsetzen den blutigen Leichnam fand. Vergebens ließ Argenson, der Polizeiminister, alles aufgreifen in Paris, was von dem Volk nur irgend verdächtig schien, […] verge- bens wurden Wachen, Patrouillen verstärkt, die Spur der Täter war nicht zu finden. Nur die Vorsicht, sich bis an die Zähne zu bewaffnen und sich eine Leuchte vortragen zu lassen, half einigermaßen, und doch fanden sich Beispiele, dass der Diener mit Steinwür- fen geängstet und der Herr in demselben Augenblick ermordet und beraubt wurde. Merkwürdigerweise war es, dass aller Nachforschungen auf allen Plätzen, wo Juwelenhandel nur möglich war, unerachtet, nicht das mindeste von den geraubten Kleinodien zum Vorschein kam, und also auch hier keine Spur sich zeigte, die hätte verfolgt werden können. ■■ Mit den folgenden Analysepunkten können Sie, eventuell in Gruppenarbeit, die Lektüre dieses spannen­ den Textes vertiefen: ■■ Historische Personen, Zeit, Ort: –– Informieren Sie sich über folgende historische Personen, die in der Erzählung aufscheinen: Mademoiselle de Scudéry, Ludwig XIV., Madame de Maintenon, Madame de Montespan, Louise- Françoise de La Vallière, Marc René d’Argenson, Jean Racine, Nicolas Boileau. –– Lokalisieren Sie in einem Plan von Paris/Paris-Umgebung folgende Handlungsorte – in Hoffmanns Schreibweise: Straße St. Honoré, Grèveplatz (heute Place de l’Hôtel de Ville), Bastille, Hôtel Dieu, Saint Germain, Louvre, Pontneuf, Conciergerie, Trianon, Saint Eustache (die Straße Nicaise existiert heute nicht mehr). ■■ Personen, Handlung: –– Ordnen Sie die folgenden Figuren je nach ihren negativen oder positiven Handlungen und Charakter­ zügen entweder der „Nachtseite“ oder der „Tagseite“ eines fiktiven Personenverzeichnisses zu: Scuderi, Cardillac, Baptiste, Olivier Brusson, die Martinière, Marquise de Brinvillier, Godin de Sainte Croix, la Voisin, Exili. –– Fassen Sie die Handlung rund um die Vorgeschichte Oliviers und die Vorgeschichte Cardillacs zusam­ men. –– Beschreiben Sie die Untersuchungsmethoden der Polizei. –– Inwiefern weiß das Lesepublikum am Ende der Erzählung mehr als die Pariser Öffentlichkeit? –– Diskutieren Sie darüber, weshalb man diese Erzählung in die „Schwarze Romantik“ einordnet. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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