Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

177 Romantik (1795–1835) 3 500 Millionen Exemplare weltweit Die „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm (1812) „Volksgeist“ in kleinen Geschichten Als kurz vor Weihnachten 1812 der erste Teil der von Jacob und Wilhelm Grimm herausgegebenen „Kinder- und Hausmärchen“ im Druck erschien, hatten die bei­ den Brüder schon sechs Jahre Sammelzeit hinter sich. Was Brentano und Arnim für die Lyrik getan hatten, wollten die Grimms für die Epik tun, den „unver­ bildeten“, mündlich überlieferten Geist des Volkes festhalten. Deshalb sammelten die Brüder Grimm nicht nur Märchen, sondern auch Sagen und bemüh­ ten sich in ihrem „Deutschen Wörterbuch“ um eine Be­ standsaufnahme der deutschen Sprache. Der Erfolg der Märchen war schon bei den Zeitgenossen groß. Heute sind die Märchen das meistübersetzte Buch deutscher Sprache. Sie liegen in 160 Sprachen vor, die Gesamtauflage beläuft sich nach Auskunft des Brüder- Grimm-Archivs auf 500 Millionen. Die Brüder Grimm formen um Allerdings stellen die gesammelten Märchen keine „volksgetreuen“ Fassungen dar, sie sind Umformungen durch die Brüder Grimm. Sie verändern dort, wo sie das Erzählte für eintönig halten, verwenden für die oft mundartlich erzählten Märchen die Hochsprache, mil­ dern Tabustellen vor allem sexueller oder sozialkriti­ scher Art. Auch der Gehalt der Märchen verändert sich. Die Gefahr, vom Wolf „gefressen“ zu werden, war im bäuerlichen Bereich, aus dem viele Märchen stam­ men, eine reale Gefahr. Vom Bürgertum, welches die Märchen las, wurde der „böse“ Wolf meist nur mehr symbolisch aufgefasst. Wie sich das „Rumpelstilzchen“ entwickelt Von „Grimms Märchen“ gibt es drei Fassungen. An­ hand von „Rumpelstilzchen“ soll Ihnen gezeigt wer­ den, wie sich die Märchen in den verschiedenen Aus­ gaben änderten. Der Inhalt ist Ihnen vermutlich be­ kannt: Eine arme Müllerstochter spinnt mit Hilfe eines Zwerges Flachs zu Gold und wird so die Frau eines Prinzen. Der Zwerg fordert als Lohn das erstgeborene Kind. Sie darf es aber behalten, entdeckt sie den Na­ men des Zwerges. Dies gelingt ihr auch mit Hilfe von Boten, die sie ausschickt und die den Zwerg ums Feu­ er tanzend seinen Namen rufen hören. Übrigens: Rum­ peln bedeutet poltern und ein Stülzer ist im Frühneu­ hochdeutschen ein Hinkender; Rumpelstilzchen ist also ein hinkender Poltergeist. ■■ Lesen Sie den Schluss des Märchens in den drei verschiedenen Fassungen und verglei­ chen Sie, welche Hinzufügungen von Fassung zu Fassung festzustellen sind. ■■ Diskutieren Sie mögliche Gründe für diese Änderungen. 1. Fassung: Diese [die Dienerin] geht nachts hinaus, da sieht sie es [das Rumpelstilzchen], wie es auf einem Kochlöf- fel um ein großes Feuer herumreitet und ausruft: „Wenn die Prinzessin wüsste, dass ich Rumpenstünz- chen heiß!“ Die Dienerin bringt eilig der Prinzessin diese Nachricht, die darüber sehr erfreut wird. Um Mitternacht kommt das kleine Männchen und spricht: „Weißt du meinen Namen, oder ich nehme das Kind mit.“ Da nennt sie allerlei Namen, endlich sagt sie: „solltest du wohl Rumpenstünzchen heißen?“ Wie das Männchen das hört, erschrickt es und spricht: „Das muss dir der Teufel gesagt haben“ und fliegt auf dem Kochlöffel zum Fenster hinaus. Denkmal der Brüder Grimm vor dem Neustädter Rathaus in Hanau, Deutschland Aufgabe 2 4 6 8 10 12 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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