Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

175 Romantik (1795–1835) nicht den Zwiespalt zwischen der unvollkommenen Realität und dem angestrebten Ideal einer harmoni­ schen Welt aufheben können. Ein typisches Beispiel für romantische Ironie ist Ludwig Tiecks Drama „Der gestiefelte Kater“ (1797). Das Publikum kritisiert wäh­ rend der Aufführung das Werk, der Dichter erscheint auf der Bühne, um die Zuschauer zu beruhigen, die Schauspieler fallen ständig aus ihren Rollen. 2 Kunstvolle Sprachspiele und einfache Volkslieder Clemens Brentano: „Es sang vor langen Jahren“ (1803) Clemens Brentano, Achim von Arnim: „Des Knaben Wunderhorn“ (1805–08) Was ist ein romantisches Gedicht? In Ludwig Tiecks Roman „Franz Sternbalds Wanderun­ gen“ gehen zwei Freunde in einem schönen Tal spa­ zieren. Man beschließt, die fröhliche Stimmung mit ei­ nem Lied zu feiern: „Sie setzten sich auf den Rasen nieder, und Florestan fragte: Welcher Inhalt soll denn in meinem Liede sein? – Welcher du willst, antwortete Ludo- vico, wenn es dir recht ist, gar keiner; […] warum soll eben Inhalt den Inhalt eines Gedichts ausmachen?“ Nicht um Inhalte, Darstellung von Wirklichkeit geht es also pri­ mär in vielen romantischen Gedichten, sondern um Wortklang, Rhythmus, Musikalität. Ein weiteres Kennzei­ chen romantischer Gedichte ist es, dass sie oft als Bestandteile von Romanen, Erzählungen und Märchen die lyrische Stimmung steigern sollten. Dies gilt auch für die beiden folgenden Gedichte Brentanos. Im ersten Text singt die Mutter des Erzählers aus der „Chronika des fahrenden Schülers“ folgendes Lied am Spinnrad. Es sang vor langen Jahren Wohl auch die Nachtigall, Das war wohl süßer Schall, Da wir zusammen waren. Ich sing und kann nicht weinen Und spinne so allein Den Faden klar und rein, So lang der Mond wird scheinen. Da wir zusammen waren, Da sang die Nachtigall Nun mahnet mich ihr Schall, dass du von mir gefahren. So oft der Mond mag scheinen, Gedenk ich dein allein, Mein Herz ist klar und rein Gott wolle uns vereinen. Seit du von mir gefahren, Singt stets die Nachtigall, Ich denk bei ihrem Schall, Wie wir zusammen waren. Gott wolle uns vereinen, Hier spinn ich so allein, Der Mond scheint klar und rein, Ich sing und möchte weinen! ■■ Benennen Sie das Thema des Gedichts und geben Sie dem Gedicht einen Titel. ■■ Erläutern Sie, welche Wörter Sie als „typisch“ romantische Vokabel bezeichnen würden. ■■ Stellen Sie Vergangenheit und Gegenwart der Sängerin dar und ihren Wunsch an die Zukunft. ■■ Die Literaturwissenschaft sieht den „Reiz“ des Textes in der Verbindung von (schein­ barer) Einfachheit und raffinierten sprach­ lichen Variationen. Überprüfen Sie diese Bewertung mit folgender Analyse: Wie viele (wie wenige) verschiedene Reime weist das Gedicht auf? Bei flüchtigem Lesen könnte man meinen, dass die letzten vier Strophen mehr oder minder Wiederholungen der ersten beiden seien. Stellen Sie fest, wie viele Verszeilen tatsächlich unverändert bleiben. Ohne Zweifel weist das Lied am Spinnrad über das gängige Motiv „Verlorene Liebe“ hinaus. Ein Interpret bezeichnet es als typisch für das Gesamtthema der Ro­ 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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