Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
172 Romantik (1795–1835) Die „Schwarze Romantik“: das Unheimliche und Gespensterhafte Die Idee von der Macht der Dichtung und der Kraft des Ich ein Unfug? Schon mitten in die frühromantische Anschauung von der ordnenden Kraft des Ich und der Macht der Kunst platzt eine anonyme „Bombe“. Der unter einem Pseudonym erschienene Roman „Nachtwachen. Von Bonaventura“ (1804) macht sich über das poetische Programm der Frühromantik lustig und erklärt es für Illusion und Unfug. Alle ethischen und religiösen und vor allem künstlerischen Werte sind für „Bonaventura“ in Wahrheit „Nichts“ . Auch in der romantischen Lyrik taucht das deprimierte, leidende Ich auf, dessen Wan derschaft nur ein Ziel mehr hat, den Tod. Der Gedicht zyklus „Die Winterreise“ mit dem berühmten Gedicht „Am Brunnen vor dem Tore“ von Wilhelm Müller (1794– 1827) (5) ist dafür ein Beispiel. Die „Nachtseite“ der Romantik Unter dem Titel „Ansichten von der Nachtseite der Na turwissenschaft“ veröffentlicht der Arzt Gotthilf Hein rich Schubert 1808 ein Werk, das sich mit dem Unbe wussten, dem Traum, der Schlafwandlerei befasst. Was bei Schubert wissenschaftliches Interesse für nicht rational erklärbare Phänomene war, wurde zu ei nem zentralen Thema der Dichtung von E. T. A. Hoff- mann (1776–1822). Sein Werk ist einerseits geprägt von der Darstellung des Wunderbaren, wie in der Erzäh lung „Der goldene Topf“. Andererseits dominiert in vie len Werken das Unheimliche, Gespensterhafte. Horror szenarien tun sich auf: Inzest, Satanismus, Vampiris mus, Doppelgänger, Wahnvorstellungen. „Lebende“ Automaten tauchen auf. Sie zeigen Hoffmanns Re aktion auf die industrielle Welt, die den Menschen zur Maschine degradiert. Von den Harmoniebestrebungen der frühen Romantiker oder der Klassik ist bei Hoff mann nichts mehr übrig. Die Kluft zwischen Fantasie und Außenwelt, zwischen Ich und Wirklichkeit wird zum zentralen Thema seiner „Nachtstücke“, der „Phan tasiestücke“, der Erzählsammlung „Die Serapionsbrü der“ mit der Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ (6) oder des Romans „Die Elixiere des Teufels“. Der Leseraum 1 Der eine sucht die blaue Blume, der andere wird Arzt Novalis: „Heinrich von Ofterdingen“ (1802) Besonders geachtet: der Roman Die höchste Stelle nimmt für die Romantiker der Ro man ein. Er ist für sie die romantische Gattung schlechthin, die „Poesie der Poesie“ . In ihm finden alle poetischen Gattungen Platz: Gedichte, Erzählung, Märchen, Briefe, wissenschaftliche und philosophi sche Gedanken, Witz und Ironie. Für Novalis (Pseudo nym für Friedrich von Hardenberg) bedeutet „Roman tik“ überhaupt „Romankunst“. Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ – zunächst sehr bewundert … Die frühen Romantiker hatten Goethes 1795/96 erschie nenen Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ zunächst mit Bewunderung gelesen. In ihm fanden sie diese Mi schung aus Gedichten, Handlung, Reflexionen, Briefen, theatralischen Szenen, geheimnisvollen Personen, die sie schätzten. Faszinierend war für sie vor allem der An fang des „Meister“. Der Kaufmannssohn Wilhelm will leidenschaftlich zum Theater. Er beginnt zwar, nach ent täuschter Liebe zu einer Schauspielerin, auf Wunsch des Vaters eine Geschäftsreise, zieht aber dann doch mit einer Schauspielertruppe umher. Dort möchte er seine Persönlichkeit formen, die bürgerliche Alltagswelt hinter sich lassen. Doch bald gerät er in den Kreis der adeligen „Turmgesellschaft“, die ihn belehrt, dass sein Leben zu „meistern“ und eine Persönlichkeit zu werden, bedeute, für die Gemeinschaft tätig zu sein. Verantwor tung und Einfügen in die bürgerliche Gesellschaft sind die Pfeiler eines solchen Lebens. Wilhelm verlässt das Theater und gliedert sich in die Gesellschaft ein, will in ihr wirksam werden. Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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