Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

170 Romantik (1795–1835) Die Literaturübersicht Die frühe Romantik: Die Realität muss „romantisiert“ werden Das Unbekannte, Geheimnisvolle jenseits der Alltäglichkeit Das Ziel der frühen Romantik, auch „Jenaer Romantik“ genannt, ist es, sich über das Alltägliche zu erheben. Der Frühromantiker Novalis präzisiert in seinen „Frag­ menten zur Poesie“ dieses Ziel: „Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts anderes als eine qualitative Potenzierung [= Steigerung].“ Mittel dieser „Romantisierung“ ist die Dichtung. Freilich ist diese Poesie nicht rational zu definieren, wie Novalis weiter ausführt: „Die Poesie ist […] unbeschreiblich […]. Wer es nicht unmittelbar weiß und fühlt, was Poesie ist, dem lässt sich kein Begriff davon beibringen. […] Der Sinn für Poesie hat viel mit dem Sinn für Mystizismus ge- mein. Er ist der Sinn für das Eigentümliche, […] Unbekannte, Geheimnisvolle.“ „Mit der Poesie verändern wir die Welt“ Die Dichtung soll also die Grenzen des Verstandes überschreiten. Sie soll das Bewusstsein erweitern, die Grenzen zwischen Glauben und Wissenschaft, Wissen­ schaft und Kunst, zwischen den einzelnen Künsten und zwischen Kunst und Religion aufheben und so un­ mittelbar das Leben verändern. Friedrich Schlegel, Theoretiker der frühen Romantik, definiert dies in der von ihm und seinem Bruder gegründeten Zeitschrift „Athenäum“ (1798–1800): „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. […] Sie will und soll […] die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen […].“ Kunst hat Zauberwörter Der Glaube, dass Poesie magische Kraft hat, die den Menschen tiefer blicken lässt als der Verstand, kenn­ zeichnet die gesamte frühe Romantik. „Zauberwörter“ können die Welt verändern, den Menschen zu seinem wahren Wesen bringen. Das folgende Gedicht aus dem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ von Novalis (1) zeigt dieses Programm: Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren Sind Schlüssel aller Kreaturen, Wenn die, so singen oder küssen, Mehr als die Tiefgelehrten wissen, Wenn sich die Welt in’s freie Leben, Und in die Welt wird zurück begeben, Wenn dann sich wieder Licht und Schatten Zu echter Klarheit werden gatten, Und man in Märchen wund Gedichten Erkennt die ewgen Weltgeschichten, Dann fliegt vor Einem geheimen Wort Das ganze verkehrte Wesen fort. ■■ Bestimmen Sie, welche gegensätzlichen Möglichkeiten, die Welt zu erkennen, das Gedicht von Novalis beschreibt, und erläutern Sie, womit man nach Novalis’ Ansicht zu wirkli­ cher Erkenntnis und „echter Klarheit“ gelangt und wer/was an der Oberfläche bleibt. ■■ Analysieren Sie den Satzbau des Gedichtes. ■■ Erläutern Sie Absicht und Wirkung dieser Satzstruktur. ■■ Das Wissen um „Zauberworte“ ist in vielen Kulturen ein Weg, um Unheil abzuwehren oder Glück zu erlangen. Oft verwenden auch Märchen dieses Motiv. Erläutern Sie, um welches geheime Wort der Unheilabwehr es z. B. im „Rumpelstilzchen“ geht – s. auch Text (3) dieses Kapitels. ■■ Erschließen Sie, welches Wort in „Ali Baba und die 40 Räuber“ das Tor zum Reichtum öffnet und welches Zauberwort auf welche Weise in „Kalif Storch“ von Wilhelm Hauff wirkt. Schillers Einfluss Um die Rationalisierung und Entpoetisierung des Le­ bens zu überwinden, setzten die Romantiker auch auf Gedanken, die schon Friedrich Schiller in seiner Schrift „Über naive und sentimentalische Dichtung“ (1795/96) formuliert hatte. Schiller lehrte zu dieser Zeit an der Universität Jena, einem Zentrum der Frühromantiker. Die „naive“ Dichtung fühlt sich laut Schiller noch im 2 4 6 8 10 12 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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