Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
162 Der „Prolog im Himmel“ – eine Wette Von den Erzengeln umgeben, thront Gott im Himmel. Auch der Teufel Mephistopheles ist dort. Man plaudert über das Los der Menschen, das Mephistopheles recht mühselig findet: „Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.“ Das Gespräch kommt auf Faust. Er dient Gott „auf besondere Weise“ , denn er strebt nach Erkenntnis. Mephistopheles wettet, Faust Gott abspenstig ma chen zu können: „Den sollt ihr noch verlieren!“ , meint er zu Gott. Was bedeutet, jemanden Gott abspenstig zu machen? Es heißt, jemanden zur Trägheit zu verfüh ren, denn „der Menschen Tätigkeit kann allzu leicht er- schlaffen, / Er liebt sich bald die unbedingte Ruh […]“ , so meint Gott. Ein Mensch, der irrt, „solang’ er strebt“ , ist Gott viel lieber. Die Wette zwischen Gott und Me phisto ist geschlossen, auch der „Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich“ . Die „Gelehrtentragödie“ „Nacht“ – Fausts Verzweiflung und vergeblicher Beschwörungsversuch Goethe übernimmt für diese Szene weite Teile des Faust-Monologs aus dem „Urfaust“ – siehe „2. Faust- Fenster“. Faust ist in seinem Studierzimmer, er erin nert sich: Alle universitären Studien hat er durchlau fen. Zufrieden gestellt haben sie ihn nicht. Quantitati ves Wissen hat er wohl anhäufen können. Andere, wie sein Gehilfe Wagner, sind damit zufrieden. Doch Faust nicht. Er möchte wissen, „was die Welt im Innersten zu- sammenhält“ . Aus diesem Wissensdefizit hat er sich „der Magie ergeben“ , einer Praxis, die im 18. Jahr hundert in privaten Zirkeln nicht selten geübt wurde. Sie soll für Faust die dem Menschen gesetzten Er kenntnisschranken überwinden. Magische Bücher wie die des Nostradamus sollen ihm helfen. Doch sie hel fen nicht. Sie fassen die Welt zwar in interessante Bil der, aber eben nur in Bilder. Fausts nächster Versuch: die Kommunikation mit dem Reich der „Geister“. In ei nem magischen Experiment beschwört er den „Erd geist“. Doch auch aus dieser Beschwörung entsteht keine Erkenntnis. Der „Menschengeist“ kann das We sen des „Erdgeists“ nicht begreifen, er kann sich höchstens wieder nur ein Bild von ihm konstruieren. Faust ist verzweifelt. Sein Blick fällt auf ein Fläsch chen. Es enthält Gift: „[…] du einzige Phiole, / Die ich mit Andacht nun herunterhole! / In dir verehr’ ich Men- schenwitz und Kunst. / Du Inbegriff der holden Schlum- mersäfte, / Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte […].“ Da die Entgrenzung mit Wissenschaft und Magie nicht geglückt ist, will Faust Selbstmord begehen und sich aus der „Trauerhöhle“ des Körpers befreien. Faust setzt das Fläschchen an: „Der letzte Trunk sei nun, mit gan- zer Seele, / Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zuge- bracht!“ Doch da ertönen die Osterglocken. Sie und die Erinnerung an die freudigen Osterzeiten der Kindheit halten Faust vom Selbstmord ab. Die Suche nach Er kenntnis geht weiter. „Vor dem Tor“ – Osterspaziergang, Gesellschafts satire und der Pudel Die österliche Natur vor der Stadt lockt zum Spazier gang: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / Durch des Frühlings holden, belebenden Blick; / Im Tale grünet Hoffnungsglück; / Der alte Winter, in seiner Schwäche, / Zog sich in rauhe Berge zurück.“ Alles ist auf den Beinen, Mädchen, Studenten, Soldaten, Bürger. Deren Freude: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen / Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, / Wenn hinten, weit in der Türkei, / Die Völker auf einander schla- gen. / Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus / Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten; / Dann kehrt man abends froh nach Haus, / Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.“ Faust ist angesehen, er hat den Leuten mit seiner ärztlichen Kunst oft geholfen. Wagner beneidet ihn. Faust aber findet nicht zur Har monie der Natur und der Menschen. Er bleibt der Zer rissene: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, / Die eine will sich von der andern trennen; / Die eine hält, in derber Liebeslust, / Sich an die Welt mit klammernden Organen; / Die andre hebt gewaltsam sich vom Dunst / Zu den Gefilden hoher Ahnen.“ Es wird Abend. Man geht nach Hause. Faust fällt ein schwarzer Pudel auf, der ihn umkreist. Doch Wagner beschwichtigt: „Ein Hund, und kein Gespenst ist da. / Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch. / Er wedelt. Alles Hundebrauch.“ Faust ist beruhigt. Doch in Wirklichkeit hat nach der Wette im Himmel nun das Spiel des Mephistopheles um Fausts Seele auf der Erde begonnen. 3. Faust-Fenster Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv
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