Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

149 „Weimarer Klassik“ (1786/1794–1805)/„Geist der Goethezeit“ (bis 1832) Hölderlins Liebe, Scheitern und eines der berühmtesten Gedichte der Weltliteratur Hölderlin war zwar dem Wunsch seiner Mutter nach­ gekommen, Theologie zu studieren; Pfarrer zu werden lehnte er allerdings ab. So kam er als „Hofmeister“ – Hauslehrer bei begüterten Familien – 1795 nach Frank­ furt zur Bankiersfamilie Gontard. Susette Gontard war eine begeisterte Leserin des 1793 veröffentlichten „Hy­ perionfragments“. Hölderlin wird gut aufgenommen. Doch während seine Familie nur eine Schilderung sei­ ner ausgezeichneten persönlichen Stimmung be­ kommt, schreibt er einem Freund gegenüber 1776 deutlicher: „Ich bin in einer neuen Welt. […] Es gibt ein Wesen auf der Welt, woran mein Geist Jahrtausende verweilen kann und wird. […] Du kannst mir glauben, auf mein Wort, dass selten so etwas […] wieder gefun- den wird in dieser Welt.“ Die Beziehung zu Susette Gontard hat begonnen. Unter dem Eindruck der Liebe zu Susette Gontard verändert Hölderlin den Namen der weiblichen Hauptfigur aus dem „Hyperionfragment“, Melite, in Diotima. Den Namen übernimmt Hölderlin aus Platons Dialog „Sym­ posion“, in dem Diotima den Sokrates über das Wesen des Eros belehrt: Eros ist Liebe zur Schönheit und Weis­ heit. Natürlich kann die Beziehung nicht bestehen. 1798 verabschiedet der Bankier Gontard Hölderlin aus sei­ nem Haus. Unter dem Eindruck des Scheiterns seiner Beziehung zu Susette Gontard entsteht im gleichen Jahre ein Gedicht, das in keiner Lyriksammlung fehlt: Hälfte des Lebens Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm’ ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein, Und Schatten der Erde? Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen. ■■ Beschreiben Sie die in den beiden Strophen von „Hälfte des Lebens“ vorgestellten Landschaften und Jahreszeiten! ■■ Das Gedicht ist antithetisch aufgebaut. Die beiden „Hälften“ des Jahres stehen einander als „Hälften des Lebens“ gegenüber. Erläutern Sie, mit welchen Strophen Sie folgende Begriffe verbinden: Harmonie und Verbinden­ des, Leben und Bewegung, Trennendes, Bewegungsloses, Starres. Die Flucht in den Wahnsinn? 1802 stirbt Susette Gontard, Hölderlin dürfte sie kurz vor ihrem Tod noch besucht haben. „Leichenblass, ab- gemagert, von hohlem, wildem Auge, langem Haar und Bart, und gekleidet wie ein Bettler“ trifft er wenig spä­ ter bei seiner Mutter ein. Der nächste Schlag kommt 1805. Ein Freund Hölderlins wird verhaftet, des Hoch­ verrats und geplanten Anschlags gegen das Leben des Kurfürsten von Württemberg beschuldigt. Ideen zu ei­ nem Staatsstreich gegen das absolutistische Regime und über die Einrichtung einer Republik, beruhend auf den Ideen der revolutionären französischen Jakobiner, hatte es unter Hölderlins Freunden tatsächlich gege­ ben. Hölderlin lebt in monatelanger Furcht, verhaftet zu werden. Ein Gutachten bescheinigt ihm, er sei „seit einigen Monaten […] in einen höchst traurigen Ge- mütszustand verfallen, so dass er als wirklich Rasender betrachtet werden müsse. Er rufe beinahe unausge- setzt: ‚Ich will kein Jakobiner sein, fort mit allen Jakobi- nern. Ich kann meinem gnädigsten Kurfürsten mit gu- tem Gewissen unter die Augen treten.‘ “ 1806 wird er in die Nervenklinik nach Tübingen eingeliefert. Das Bre­ chen des „kranken“ Willens gehört zu den Grundsätzen der Behandlung. Im nächsten Sommer übergibt man ihn als „unheilbar“ dem Tischler Zimmer in Tübingen. Laut Diagnose hat Hölderlin noch drei Jahre zu leben. Doch der 36-Jährige verbringt weitere 36 Jahre in sei­ ner Turmkammer am Neckarufer. Von nun an ist Höl­ derlin nicht mehr „normal“, eines Lebens unter „nor­ malen“ Menschen nicht mehr fähig. Hölderlin, ein „Simulant“? Hölderlin lebt im Hause Zimmers. Empfängt er Besu­ che, so nennt er sich meist Buonarotti, Rosetti, 2 4 6 8 10 12 14 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv

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