Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
148 „Weimarer Klassik“ (1786/1794–1805)/„Geist der Goethezeit“ (bis 1832) 5 „Es sind so wenige, die noch Glauben an mich haben.“ Friedrich Hölderlins Roman „Hyperion“ (1797/99) und seine späten Gedichte Späte Anerkennung Anders als die Weimarer Klassiker erlangte Friedrich Hölderlin erst im 20. Jahrhundert literarische Aufmerk samkeit. Heute ist die weltliterarische Bedeutung Höl derlins unumstritten. Für viele gilt Hölderlin als Bei spiel eines Schriftstellers, der am Unverstand seiner Zeit, an seiner offensiven Kritik, seiner eher ärmlichen Herkunft und vor allem auch an Widerstand, Miss gunst und fehlender Unterstützung der beiden „Gro- ßen“, Goethe und Schiller, scheitert. Goethes Herablassung Ohne Zweifel wurde eine positive Aufnahme Hölderlins zu seiner Zeit auch behindert durch die geringe Wert schätzung, die Goethe dem Autor entgegenbrachte. Im April 1797 erscheint der erste Band von Hölderlins Ro man „Hyperion“. Hölderlin versucht mit Goethe näher bekannt zu werden, da dessen Urteil in der Öffentlich keit viel gilt. Das Treffen mit Goethe im Hause Schillers scheitert. Hölderlin erkennt Goethe nicht, Goethe tut nichts, um sich erkennen zu geben. Nach einem Be such, den er später Hölderlin gewährt, schreibt Goethe an Schiller: „Gestern ist auch Hölterlein bei mir gewe- sen, er sieht etwas gedrückt und kränklich aus. […] Ich habe ihm besonders geraten kleine Gedichte zu machen […].“ Goethes Überheblichkeit trifft Hölderlin schwer. In einem Brief Hölderlins an einen Freund heißt es: „Ach! Lieber! es sind so wenige, die noch Glauben an mich haben, und die harten Urteile der Menschen wer- den wohl so lange mich herumtreiben, bis ich am Ende, wenigstens aus Deutschland, fort bin.“ Ein Roman provoziert die Deutschen Hölderlins zweibändiger Briefroman „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“ spielt vor dem Hintergrund des modernen Griechenland, wo ab 1770 die Griechen um ihre Befreiung von der türkischen Herrschaft kämpf ten. Hyperion beschäftigt sich mit der Antike. Dies lässt ihn das unbefriedigende Leben der Gegenwart spüren. Das Basisübel der neuen Zeit sieht Hyperion in der Re duzierung des Menschen auf eine bestimmte Tätigkeit, einen nützlichen Zweck. Seelenlosigkeit herrscht, sie bewirkt Entfremdung und Verdinglichung der Men schen, was ihnen selbst nur selten bewusst ist. Nur der Dichter, ausgestattet mit dem empfindsamen Gemüt, das Hölderlin den „Genius“ nennt, spürt den Verlust der Ganzheitlichkeit, die einst die Menschen im klassischen Griechenland ausgezeichnet habe. Im letzten Brief an seinen deutschen Freund Bellarmin beklagt sich Hyperi on in heftigen Worten über seine Erfahrungen mit Deutschland, das er zu Studienzwecken besucht: Es ist ein hartes Wort und dennoch sag ichs, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Men- schen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinander liegen […]? Deine Deutschen […] bleiben gerne beim Notwendigsten, und darum ist bei ihnen auch so viele Stümperarbeit und so wenig Freies, Echterfreuliches. Doch das wäre zu verschmer- zen, müssten solche Menschen nur nicht fühllos sein für alles schöne Leben, ruhte nur nicht überall der Fluch der gottverlassnen Unnatur auf solchem Volke. Bestimmen Sie die im Romanausschnitt formulierte Kritik Hölderlins an den „Deutschen“. F. K. Hiemer, Porträt Friedrich Hölderlin, Pastell, 1792 2 4 6 8 10 12 14 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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