Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
145 „Weimarer Klassik“ (1786/1794–1805)/„Geist der Goethezeit“ (bis 1832) len – auch er ist historisch nicht belegt –, ihn gezwun gen hat, mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen. Der Grund: Tell hatte den auf ei ner Stange aufgepflanzten Hut des Vogts nicht ge grüßt. Tell rechtfertigt vor sich selbst den Plan, Gessler zu töten: Ich lebte still und harmlos – Das Geschoß War auf des Waldes Tiere nur gerichtet, Meine Gedanken waren rein von Mord – Du hast aus meinem Frieden mich heraus Geschreckt, in gärend Drachengift hast du Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt, Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt – Wer sich des Kindes Haupt zum Ziele setzte, Der kann auch treffen in das Herz des Feinds. Die armen Kindlein, die unschuldigen, Das treue Weib muss ich vor deiner Wut Beschützen, Landvogt – Da, als ich den Bogenstrang Anzog – als mir die Hand erzitterte – Als du mit grausam teufelischer Lust Mich zwangst, aufs Haupt des Kindes anzulegen – Als ich ohnmächtig flehend rang vor dir, Damals gelobt ich mir in meinem Innern Mit furchtbarem Eidschwur, den nur Gott gehört, Dass meines nächsten Schusses erstes Ziel Dein Herz sein sollte – […]. Tells Attentat Tell wird von Gessler verhaftet, kann sich jedoch be freien, lauert Gessler auf und tötet ihn. Tells Motive sind zwar persönlicher Natur, doch seine Tat wird poli tisch wirksam. Sie löst einen Aufstand aus, der schnell und unblutig Erfolg hat und auch die Kreise des Adels erreicht. Die Schlussszene: Eine Adelige verzichtet auf ihr Geburtsvorrecht und bittet Bürgerin werden zu dürfen, ein Adeliger gibt seine Diener frei: „Und frei erklär ich alle meine Knechte.“ Kein großes Blutvergießen Zumindest auf der Bühne ist eine politische Entwick lung zu einer gerechten Gesellschaft möglich. Die blu tige Revolution ist nicht nötig, Rechtschaffenheit setzt sich durch. Da für Schiller das Theater die wirksamste Kraft ist, Verhalten zu ändern und Einsicht zu vermit teln, drückt „Wilhelm Tell“ auch Schillers Optimismus aus, gesellschaftliche Veränderungen könnten auf friedliche Weise mit Hilfe der Kunst zu einem „ästheti- schen Staat“ führen, in dem sich persönliche Freiheit und gesellschaftliche Solidarität verbinden: „Wir wol- len sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr“ , so lautet das Gelöbnis der Schweizer. Exkurs Goethehaus – KZ Buchenwald 5 Kilometer – der Missbrauch des „Geistes von Weimar“ Das frühe Vergessen des „Geistes von Weimar“ Schon 1880 hatte der Philosoph Friedrich Nietzsche (1813–1900) in seinem Werk „Menschliches, Allzu menschliches“ davon geschrieben, dass die Weimarer Klassik ins Vergessen gerate und die Idee der Humani tät ohne Konsequenzen bleibe. Die Klassiker dienten nur noch als Prestigedemonstration, als „Fanfare der Eitelkeit, welche man von Zeit zu Zeit über die deutsche Grenze blase“ . Nietzsche weiter: „Goethe ist in der Ge- schichte der Deutschen ein Zwischenfall ohne Folgen: wer wäre imstande, in der deutschen Politik ein Stück Goethe aufzuzeigen!“ Buchenwald: Die Ideale der Klassik sind vergessen Neben den Stätten der deutschen Klassik wie Goethes Gartenhaus, seinem Haus am Frauenplan, Schillerhaus, Wielandhaus, der Anna-Amalia-Bibliothek, Herderkirche findet man in Weimar auch die Spuren der NS-Herr schaft. Auf dem Ettersberg, nordwestlich der Stadt, ha ben die Nationalsozialisten 1937 eines der größten Kon zentrationslager errichtet. Von den 250.000 Menschen, die bis 1945 dorthin verschleppt worden waren, wurden 65.000 ums Leben gebracht. In Weimar kamen die Häft lingstransporte an, bevor sie nach Buchenwald weiter geleitet wurden. Auch nach Kriegsende war Buchenwald Lager. Die sowjetische Besatzungsmacht 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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