Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

133 die bisherigen Studien ausspricht und sein Streben nach Erkenntnis. Ebenso führt Goethe bereits den Teu­ fel Mephistopheles ein, der Faust das „Leben“ zeigen will. Auch Goethes eigentliche Neuschöpfung, die „Gretchentragödie“, ist bereits enthalten. Es ist dies die Geschichte des von Faust verführten und dann al­ leingelassenen Mädchens, das aus Verzweiflung das Neugeborene tötet. – Lesen Sie den Beginn des „Ur­ faust“, Fausts Monolog: Nacht. In einem hochgewölbten engen gotischen Zimmer. Faust unruhig auf seinem Sessel am Pult. Faust: Hab nun, ach, die Philosophei, Medizin und Juristerei, Und leider auch Theologie Durchaus studiert, mit heißer Müh. Da steh ich nun, ich armer Tor Und bin so klug als wie zuvor. Heiße Doktor und Professor gar Und ziehe schon an die zehen Jahr’ Herauf, herab und quer und krumm Meine Schüler an der Nas’ herum Und seh, dass wir nichts wissen können, Das will mir schier das Herz verbrennen. Zwar bin ich gescheuter als alle die Laffen, Doktors, Professors, Schreiber und Pfaffen, Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel, Fürcht mich weder vor Höll noch Teufel. Dafür ist mir auch alle Freud entrissen, Bild mir nicht ein, was Rechts zu wissen, Bild mir nicht ein, ich könnt was lehren, Die Menschen zu bessern und zu bekehren; Auch hab ich weder Gut noch Geld, Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt. Es möcht kein Hund so länger leben! Drum hab ich mich der Magie ergeben, Ob mir durch Geistes Kraft und Mund Nicht manch Geheimnis werde kund. Dass ich nicht mehr mit saurem Schweiß Rede von dem, was ich nicht weiß. Dass ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält, Schau alle Würkungskraft und Samen Und tu nicht mehr in Worten kramen. Oh sähst du, voller Mondenschein, Zum letzten Mal auf meine Pein, Den ich so manche Mitternacht An diesem Pult herangewacht! Dann über Bücher und Papier, Trübselger Freund, erschienst du mir. Ach könnt ich doch auf Bergeshöhn In deinem lieben Lichte gehn, Um Bergeshöhn mit Geistern schweben, Auf Wiesen in deinem Dämmer weben, Von all dem Wissensqualm entladen In deinem Tau gesund mich baden! Weh! steck ich in dem Kerker noch? Verfluchtes dumpfes Mauerloch, Wo selbst das liebe Himmelslicht Trüb durch gemalte Scheiben bricht! Beschränkt von all dem Bücherhauf, Den Würmer nagen, Staub bedeckt, Und bis ans hohe Gewölb hinauf Mit angeraucht Papier besteckt, Mit Gläsern, Büchsen rings bestellt, Mit Instrumenten vollgepfropft, Urväter Hausrat drein gestopft – Das ist deine Welt, das heißt eine Welt! Und fragst du noch, warum dein Herz Sich inn in deinem Busen klemmt? Warum ein unerklärter Schmerz Dir alle Lebensregung hemmt? Statt all der lebenden Natur, Da Gott die Menschen schuf hinein, Umgibt in Rauch und Moder nur Dich Tiergeripp und Totenbein. Erläutern Sie folgende Aspekte des Monologs: ■■ Welche Studien hat Faust betrieben? ■■ Womit befassen sich die von Faust studierten Wissenschaften? ■■ Welche Verse drücken besonders stark Fausts Wissen um die Erkenntnisgrenzen der Wissenschaft aus? ■■ Welche Konsequenz hat Faust aus dem Ungenügen an den Wissenschaften gezogen? ■■ Welcher Vers präzisiert das, was Faust wissen will? 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 Aufgabe Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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