Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
12 Frühmittelalter (770–910 und 1060–1170) Ich hörte berichten, dass zwei Krieger, Hildebrand und Hadubrand, zwischen ihren beiden Heeren, aufeinanderstießen. Zwei Leute von gleichem Blut, Vater und Sohn, rückten da ihre Rüstung zurecht, […] als sie zu diesem Kampf ritten. Hildebrand, Heribrands Sohn, begann die Rede – er war der Ältere, auch der Erfahrenere –, mit wenigen Worten fragte er, von welchen Leuten im Volk der Vater des anderen sei […]. Hadubrand, Hildebrands Sohn, antwortete: „Es haben mir unsere Leute gesagt, […] dass mein Vater Hildebrand heiße. Mein Name ist Hadubrand. Einst ist mein Vater nach Osten gezogen, […] zusammen mit Theoderich und vielen seiner Krieger. Er hat in der Heimat, in seinem Haus hilflos und ohne Erbe seine junge Frau [und] ein kleines Kind zurückgelassen. Er ist nach Osten fortgeritten. […] Die Tapfersten kannten ihn. Ich glaube nicht, dass er noch am Leben ist.“ „Ich rufe Gott vom Himmel“, sprach Hildebrand da, „zum Zeugen an, dass du bisher noch nicht einen so nah Verwandten zum Gegner gewählt hast.“ Darauf löste er Ringe vom Arm, aus Kaisergold geschmiedet, wie sie ihm der König der Hunnen geschenkt hatte. „Das schenke ich dir aus Freundschaft.“ Hadubrand, Hildebrands Sohn, entgegnete aber: „Ein Mann soll [solche] Gaben mit dem Speer empfangen: Spitze gegen Spitze! […] Ich weiß es von Seefahrern, die […] übers Meer [gekommen sind], dass ein Kampf mir meinen Vater genommen hat: Tot ist Hildebrand, der Sohn Heribrands!“ […] „O allmächtiger Gott“, fuhr Hildebrand fort, „das Schicksal will seinen Lauf! Ich bin sechzig Sommer und Winter außer Landes gegangen. […] Nachdem mich vor keiner Burg der Tod ereilt hat, soll es nun geschehen, dass mich mein eigener Sohn mit dem Schwert erschlägt, mich mit seiner Waffe zu Boden fällt oder dass ich ihm den Tod bringe.“ […] Da ließen sie zunächst die Eschenlanzen gegeneinanderrasen, mit einem so harten Stoß, dass sie sich fest in die Schilde gruben. Darauf ließen sie ihre […] Schilde selbst aufeinanderprallen. Sie schlugen voll Raserei auf die weißen Schilde ein, bis ihnen das Lindenholz zu Spänen zerfiel, von den Waffen zerschlagen. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 Erste Seite des Hildebrandsliedes, Landes- und Murhardsche Bibliothek Kassel, 9. Jh. Der Schluss Mit der Schilderung des Kampfbeginns bricht die Aufzeichnung des Textes ab. Sehr wahrscheinlich ist, dass der Vater den Sohn tötet. Dies legt eine vollstän dig erhaltene nordgermanische Fas sung des Stoffes aus dem 12. Jahr hundert nahe, in welcher der Sohn im Zweikampf fällt. Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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