Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

113 Das Fundament Der Widerspruch der Jungen Gegen die „Papierkultur“ Die Dominanz von Verstand und Vernunft in der Auf­ klärung deckte sich nicht mit den Vorstellungen, die viele junge Menschen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhun­ derts von ihrem Leben und der Literatur hatten. Sie schätzten zwar die Vernunft, kritisierten aber ihre Aus­ schließlichkeit und verspotteten die „Papierkultur“ der Aufklärer und ihre „mechanische kalte Welt“ . Das Re­ sultat der Ausschließlichkeit der Vernunft: „Wir sehen und fühlen kaum mehr, sondern denken und grübeln nur.“ Mit diesen Worten fasst Johann Gottfried Herder (1744–1803), der philosophische Anreger des Sturm und Drang, seine Diagnose zusammen. Leben im Einklang mit der Natur Die Kritik, dass die Betonung des Verstandes die Men­ schen von der Natur getrennt habe und in der Gesell­ schaft der Mensch sich selbst und den anderen fremd werde, übernehmen die Dichter des Sturm und Drang von Jean-Jacques Rousseau. Um im Einklang mit sich und den anderen zu sein, müsse man im Einklang mit der Natur leben und seinen Gefühlen und Instinkten mehr folgen als dem Verstand. In „Emile oder über die Erziehung“ drückt Rousseau seine Zivilisationskritik so aus: „Alles, was aus den Händen des Schöpfers kommt, ist gut; alles entartet unter den Händen des Menschen.“ Der junge Herder sieht als einer der ersten die Gefahr, dass eine ausschließlich auf wirtschaftlichen Gewinn ausgerichtete europäische Zivilisation weltweite Zer­ störungen provoziert: Unser System des Handels! […] In Europa ist die Sklaverei abgeschafft, weil berechnet ist, wie viel diese Sklaven mehr kosteten und weniger brächten als freie Leute: nur eins haben wir uns noch erlaubt, drei Weltteile als Sklaven zu brauchen, […] in Silbergruben und Zuckermühlen zu verbannen – aber das sind nicht Europäer, nicht Christen, und dafür bekommen wir Silber und Edelgesteine, Gewürze, Zucker und – heimliche Krankheit. […] System des Handels! […] Drei Weltteile durch uns verwüstet, […] in Schinderei und Tod versenkt. Die Wertschätzung anderer Kulturen, früherer Epochen und der „Volksdichtung“ Naturgefühl und Zivilisationskritik begünstigen auch die Hinwendung zu anderen Kulturen und früheren Epochen. Die Autoren des Sturm und Drang begeistern sich für Amerika, die Schweiz, die Inseln der Südsee und das Volkstümliche in der eigenen Kultur. Das Charakte­ ristische und Individuelle findet man, so der junge Goe­ the, beim „Bauern auf dem Hof“ , beim „Handwerksmann in seiner Werkstatt“ , beim „ehrlichen Bürger bey seiner Kanne Wein“ , nicht aber bei den „polirten Menschen“ . Das bis dahin als „finster“ etikettierte Mittelalter wird erstmals geschätzt. Herder sammelt in bunter Mi­ schung „Volkslieder“. Die Zivilisationskritik wird zur politischen Kritik Die Forderung nach Befreiung der Gefühle, nach Selbstbewusstsein und Individualität richtet sich auch 2 4 6 8 10 1770  erste Begegnung Goethes mit Herder in Straßburg: Gefühl und Subjektivität müssen in der Dichtung Platz haben; Begeisterung für Shakespeare und die Literatur des „Volkes“. 1785–90  Wandlung vom kritischen und emotionalen Sturm-und-Drang-Stil Schillers und Goethes zu Maß und Harmonie der Klassik. 1791  letztes typisches Werk der Epoche: Klinger: „Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt“. Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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