Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

11 Frühmittelalter (770–910 und 1060–1170) gründung: Die Laien hätten jetzt alles, was sie brauch­ ten. Allerdings war das nicht recht viel: ein paar Gebete, Glaubensbekenntnisse, Taufformeln. Als ange­ messene Sprache für religiöse und weltliche literari­ sche Werke wurde nun nur mehr das Lateinische ak­ zeptiert, die Literatur somit auf einen winzigen Kreis von „Lesekundigen“, meist Geistlichen, beschränkt. Zwischen 950 und 1050 werden mit einer Ausnahme keine deutschsprachigen Texte mehr produziert. Diese Ausnahme bildet ein Mönch aus dem Kloster St. Gal­ len in der heutigen Schweiz, Notker, genannt der Deut­ sche, der die von ihm produzierten Übersetzungen von antiken und biblischen Texten ins Deutsche aber nur innerhalb seines Klosters für den Lehrbetrieb ver­ wendet. Notker (950–1022) ist nämlich für die Kloster­ schule zuständig und will den Schülern das Verständ­ nis lateinischer Texte erleichtern, indem er diese für sie übersetzt. Der Beginn einer kontinuierlichen deutschen Literatur Erst ab 1060 gibt es wieder deutschsprachige Werke, vor allem kirchliche Gebrauchsliteratur – Legenden, Predigten, Marienlyrik – und legendenhaft aufbereite­ te geschichtliche Stoffe wie das „Rolandslied“. Seit­ dem kann man von einer kontinuierlichen deutsch­ sprachigen Literatur sprechen. Der Leseraum 1 Die erste deutsche Vater-Sohn-Tragödie Das „Hildebrandslied“ (um 850) Ein Fragment Um 850 im Kloster Fulda von zwei Mönchen auf die Vorder- und Rückseite einer Handschrift mit Bibeltex­ ten geschrieben, nur 68 Verse lang, mit Textlücken und kurz vor dem Ende abbrechend, ist das „Hildebrands­ lied“ ein einzigartiges Zeugnis germanischer Helden­ dichtung in deutscher Sprache. Es gehört in den Sa­ genkreis um Dietrich von Bern. „Bern“ steht für Verona, „Dietrich“ für den historischen Ostgotenherrscher Theoderich. Der Text handelt von der Vertreibung Diet­ richs aus Oberitalien durch den Germanenfürsten Odoaker und von Dietrichs Exil am Hunnenhof. Diet­ richs Gefolgsmann Hildebrand begleitet ihn. Der Konflikt Nach 30 Jahren kehrt Hildebrand zurück. Zwischen zwei Heeren – „untar heriun tuem“ – begegnen einan­ der Hildebrand und sein Sohn Hadubrand. Es ist un­ klar, ob dies auf einem Kundschafterritt geschieht, an der Spitze zweier gegnerischer Heere oder als stellver­ tretende Krieger im Zweikampf. Lesen Sie den Text in neuhochdeutscher Übertragung und die ersten sechs Stabreimverse in der Originalsprache: Der Beginn des Hildebrandslieds im Original 1 Ik gihorta dat seggen, 2 dat sih u rhettun æ non muotin, 3 H iltibrant enti H adubrant untar h eriun tuem. 4 s unufatarungo iro s aro rihtun. 5 g arutun s e iro g udhamun, g urtun s ih iro s uert ana, 6 h elidos, ubar h ringa, do sie to dero h iltiu ritun. Die fett gedruckten Anfangslaute verdeutlichen Ihnen die Technik des Stabreims. Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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