Vielfach Deutsch PTS, Arbeitsheft

Über berufspraktische Tage berichten 2 Jugendliteratur interpretieren und reflektieren Du hast Louis aus dem Roman Über kurz oder lang bereits im Sprachbuch kennen gelernt. Lies jetzt, wie es ihm an seinem letzten Praktikumstag ergeht. Der Samstag verging rasch, so rasch. Louis hätte die Zeit am liebsten angehalten. Er konnte nicht mehr vor Müdigkeit, die Woche war für seine vierzehn Jahre zu hart gewesen. Aber jede Stunde, die verging, entfernte ihn etwas mehr vom Salon Marielou. Schon hatte er den Eindruck, den anderen ein bisschen fremd zu werden. […] Um zwanzig Uhr wurde geschlossen. Louis holte die Mäntel. Das letzte Ritual des letzten Tages. „Danke, Louis. Legen Sie die Sachen hin.“ Sie standen alle da und versperrten ihm beinahe den Ausgang. […] Garance ging zu Louis und hielt ihm ein mit einer Schleife verziertes Päckchen hin. Louis merkte, wie er bis zu den Ohren rot wurde. Er packte es aus. „Eine Schere!“ Die Gleiche wie die flink klappernde von Fifi. Louis ließ sie zweimal schnappen. „Gib her“, sagte Fifi. „Ich werd dir zeigen, wie Männer es machen, und zwar richtige.“ Er nahm sich seine eigene Schere und die, die sie gerade Louis geschenkt hatten. Er ließ beide um die Zeigefinger kreisen, kreuzte sie vor Garance’ Nase, schoss dann, peng, peng, auf Madame Marielou und tat, als würde er sie wie zwei Revolver wieder ins Halfter stecken. Schließlich gab er Louis eine zurück. Diesmal war es aber seine. Louis und Fifi tauschten ein komplizenhaftes Lächeln. „Gut … Abschied mit Küsschen?“ Louis küsste alle und Garance als Letzte. Er küsste sie nicht auf die Wange, nicht auf die Lippen, aber auf den Mundwinkel. „Heißer Feger“, bemerkte Fifi belustigt und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. Alle waren kurz vorm Heulen. Louis hatte sich seinen Platz im Salon Marielou erobert. Er würde ihnen fehlen. „Also, ich geh dann“, murmelte Louis. „Ich komm vorbei, um Ihnen meinen Praktikumsbericht zu zeigen …“ Er legte die Hand auf die Türklinke. Rede, Louis. Jetzt. „Vielleicht könnte ich mittwochs zum Aushelfen kommen?“, sagte er und sah auf die Straße hinaus. „Ah, jaa, super!“, rief Garance. „Wir teilen das Trinkgeld.“ Die Ladenglocke begann zu zittern. Louis wandte sich zu Madame Marielou um. „Vielleicht könnte ich auch samstags kommen?“ „Komm zurück, wann immer du willst“, sagte die Chefin. Und plötzlich rannen ihm die Tränen über die Wangen. Louis wandte den Blick ab. Er öffnete weit die Tür und rannte los. Verliebt. ER war verliebt. In Garance, Clara, Fifi und Madame Marielou. Verliebt in den Salon Marielou. Er murmelte vor sich hin: „Komm zurück, wann immer du willst. Komm zurück, wann immer du willst“, und das „du“ sang in seinem Kopf. Marie-Aude Murail: Über kurz oder lang. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2010. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. 1 nach Ü8 5 10 15 20 25 30 35 14 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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