EL-MO Elemente und Moleküle, Schulbuch

Blausäure und Cyanide 310 310 O C N C Abb. 310–3: Elektronenstruktur der „Toxic Twins“ Kohlenstoffmonoxid- Molekül Cyanid-Ion sind isoelektronisch. Die Außenhülle der beiden Teilchen ist ident, man kann daher gleiches chemisches Verhal- ten erwarten. Der Komplex mit Eisen(II) ist vergleichsweise schwächer als der mit Eisen (III). Daher wird das Häm im Hämoglobin (mit Eisen II als Zentralatom) nicht so stark besetzt, dient aber als Transporter zu den Zellen. Das Häm im Cyto- chrom-C – mit Eisen(III) als Zentralteilchen – der Atmungskette wird praktisch vollständig blockiert. Die Sauerstoffverwertung ist dadurch unmöglich, man stirbt an innerer Erstickung (ATP-Mangel und Milchsäureübersäuerung, da nur mehr die anaerobe Glycolyse möglich ist). Der Tod tritt nach wenigen Minuten ein. Der gefühlte Sauerstoffmangel beschleunigt die Atmung, was zu weiterer Aufnahme von Blausäure führt. Die Haut der vergifteten Person verfärbt sich hellrot, da auch das venöse Blut Sauerstoff-gesättigt ist (dieser wird ja in den Zellen in diesem Fall nicht verbraucht). Im Organismus wird Blausäure durch das Enzym Rhodanase zu ungiftigem Roda- nid oxidiert, was die Toleranz auf sehr geringe Cyanidmengen erklärt. Bei akuten Vergiftungen muss zuerst das Cyanid vom Cytochrom-C ferngehalten werden. Das erreicht man durch Injizieren von DMAP (4-Dimethyl-aminophenol), welches in den Erythrozyten das Hämoglobin in Met-Hämoglobin mit Fe(III) umwandelt, welches das Cyanid bindet. Natürlich darf nur so dosiert werden, dass noch ge- nug Hämoglobin für den Sauerstofftransport übrig bleibt. Zusätzlich wird Thio- sulfat injiziert, welches den Schwefel für die Umwandlung von Cyanid in Rhoda- nid liefert. Die Maßnahmen müssen allerdings unmittelbar nach der Vergiftung erfolgen, nach wenigen Minuten kann es bereits zu spät sein. Blausäure als Kampfgas und Tötungsmittel Als Kampfgas wurde HCN im 1. Weltkrieg von französischer Seite eingesetzt, die etwas geringere Dichte als Luft bewirkte aber eine rasche Verteilung und Verdünnung und es gibt gut wirksame Schutzmasken, sodass dies wieder aufgegeben wurde. Unter der NS-Herrschaft im 2. Weltkrieg wurde Blausäure in Konzentrationslagern wie Auschwitz als Mittel zur Massentötung von vor allem jüdischen Bürgern eingesetzt. Nach Ende des Krieges entzog sich Her- mann Göring der Hinrichtung nach den Nürnberger Prozessen durch Zerbeißen einer mit Blausäure gefüllten Kapsel. In den USA wurden Todesurteile bis 1999 mit Blausäure vollstreckt. Cyanid in der Technik Cyanide werden bei der Gewinnung von Gold und Silber eingesetzt ( Cyanidlau- gerei , mit Luft entsteht ein wasserlöslicher Gold-Cyanidkomplex). Das führte zu Unfällen mit schweren Umweltschäden. Dammbruch in Baia Mare (Rumänien) im Jahr 2000 bei der Goldaufbereitung, in Kütahya (Türkei) 2011 bei der Silber- gewinnung. Cyanide kommen in der Natur organisch gebunden als Amygdalin in beachtli- chen Konzentrationen in Bittermandeln und Marillenkernen vor (die letale Dosis beträgt ca. 70 Bittermandeln für einen Erwachsenen, 10 für ein Kind). Dabei ist HCN an die CO-Doppelbindung von Benzaldehyd addiert. Die entstehende OH- Gruppe ist glycosidisch einem Diasccharid aus 2 Glucosen verknüpft. Die Alter- nativmedizin verwendet Bittermandeln (in geringerer Konzentration) zur Krebs- bekämpfung unter der Bezeichnung „Vitamin“ B 17. Die Vorstellung ist, dass die Krebszelle auf Grund ihres hohen Zuckerbedarfs das Amygdalin rascher aufspal- tet als normale Zellen, wodurch sie empfindlicher auf die freigesetzte Blausäure reagiert. Die Methode ist allerdings umstritten und in der klassischen Medizin nicht anerkannt, da Blindstudien keine Wirksamkeit feststellen konnten. Blausäure im Brandrauch – die toxic twins Eine wichtige Rolle spielt Blausäure bei Vergiftungen durch Brandrauch. Sie entsteht beim Verbrennen von stickstoffhaltigen organischen Substanzen (Kunststoffen wie PAN und PU-Schaum, aber auch von Wolle und Bettfedern). Sie ist zwar viel geringer konzentriert als CO, aber etwa 30-mal so giftig. Der Atemschutz der Feuerwehr muss daher auch gegen Blausäure wirken. Im en- gli-schen Sprachraum werden CO und HCN auch als die toxic twins bezeichnet. Man nimmt an, dass die Giftwirkung der Mischung stärker ist, als die der Ein- zelsubstanzen. Vor allem die Gegenmaßnahme gegen HCN mit DMAP ist nicht möglich, wenn schon zu viel Hämoglobin durch CO blockiert ist. Abb. 310–2: Strukturformel des Amygdalins O H O H O O O H O H O H O H O O O H C N Abb. 310–1: Angriffspunkte der Cyanid-Ionen in der Atmungskette (Abb. 294–1) Q Q H 2 Cyt C OX Cyt C RED Cyt C OX Cyt C RED 2 H + H 2 O O 2 Fe 2+ Fe 3+ Fe 2+ Fe 3+ Nur zu Prüfzwec en – Eigentum des Verlags öbv

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