EL-MO Elemente und Moleküle, Schulbuch

214 214 Chiralität – Spiegelbildisomerie – Optische Isomerie 8.6 R/S-Isomerie Es gibt Strukturen, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten und dadurch räumlich nicht zur Deckung bringen lassen, obwohl sie sonst völlig gleich sind. Rechts- und Linksschraube derselben Art oder die rechte und die linke Hand sind Beispiele dafür. Solche Strukturen nennt man chiral . (Griech.: cheir = Hand) Asymmetrisches C-Atom – Enantiomere Häufigste Voraussetzung für das Auftreten dieser Isomerieart ist ein asymme- trisch substituiertes C-Atom , das ist ein C-Atom mit vier verschiedenen Substi- tuenten (verkürzt verwendet man auch die Begriffe „asymmetrisches C-Atom“ oder „chirales C-Atom“). Enthält ein Molekül ein solches C-Atom, so gibt es ein isomeres Molekül dazu, das sich wie das Spiegelbild verhält. Dieses Molekülpaar wird Enantiomeren- paar genannt. (Griech.: enantios = entgegengesetzt) Enantiomere unterscheiden sich in ihren physikalischen (Fp, Kp, Dichte) und chemischen Eigenschaften gegenüber nichtchiralen Verbindungen nicht (eine gleichartige Rechts- und Linksschraube unterscheiden sich in der Masse, Dichte oder im Verhalten gegenüber der Umgebung ohne Gewinde ebenfalls nicht). Chirale Reaktionspartner Gegenüber chiralen Molekülen treten aber große Unterschiede im Reak- tionsverhalten auf (so wie die Rechtsschraube nicht in ein Linksgewinde passt). Die meisten biochemischen Vorgänge verlaufen über chirale Verbindun- gen. Kohlenhydrate und Aminosäuren – die Bausteine der Eiweißstoffe – sind chiral und kommen in der Natur nur in einer Form vor. Die als Biokatalysatoren wirkenden Enzyme sind als Eiweißstoffe ebenfalls chiral und können nur das passende Isomere sinnvoll verwerten. Natur vs. Labor Bei Verbindungen aus der Natur liegt meist nur eine – die „richtige“ Form – vor. Bei Synthesen im Labor entstehen aber oft äquimolare Mischungen des Enan- tiomerenpaares, sogenannte Racemate (lat.: acidum racemicum = Trauben- säure, mit der die erste Racemattrennung gelang), da die Wahrscheinlichkeit für die Bildung beider Formen gleich groß ist. Wird eine solche Mischung zB als Medikament gegeben, so wirkt die eine Form und die andere wird im günstigs- ten Falle als unwirksam ausgeschieden. Drehung der Ebene von linearpolarisiertem Licht Physikalisch unterscheiden sich Enantiomere nur in Ihrem Verhalten gegenüber linear polarisiertem Licht. Lässt man Licht durch einen Polarisationsfilter (Po- larisator) treten, so enthält man Licht, das nur in einer Ebene schwingt. Ein zweiter um 90° gedrehter Polarisationsfilter (Analysator) bewirkt Auslöschung. Bringt man eine chirale Verbindung zwischen Polarisator und Analysator, so kommt es zur Aufhellung. Chirale Verbindungen drehen die Polarisationsebene von linear polarisiertem Licht. Eine Form dreht nach links, die andere (bei gleicher Konzentration) gleich stark nach rechts. Chirale Substanzen bezeichnet man daher als optisch aktiv . Die Isomerieform nennt man daher auch optische Isomerie . Die Messung der Drehung erfolgt im Polarimeter . (Abb. 214–3) Ein Racemat dreht die Polarisationsebene natürlich nicht, da sich die Wirkung beider Enan- tiomere aufhebt. Die Vermutung, dass optische Aktivität auf ein asymme- trisches C-Atom zurückgeht, stellten die Physiker und Chemiker Jacobus Hen- dricus van’t Hoff (1852 – 1911) und Achille Le Bel (1857 – 1930) unabhängig voneinander 1874 auf. Racemattrennung Dem Franzosen Louis Pasteur (1822 – 1895) gelang erstmals die Trennung des Racemates der optisch aktiven Weinsäure. Eine exakte Aufklärung der Struktu- ren gelang erst 1920 durch die Röntgenstrukturanalyse. Abb. 214–1: Chirale Hände Abb. 214–2: Strukturformeln chiraler Milch- säuremoleküle asymmetrisches C-Atom * * C OO H C H O H CH 3 H OO C C H O H H 3 C Abb. 214–3: Schema eines Polarimeters Analysator Polarisator Probe gedrehtes linear polarisiertes Licht Drehwinkel linear polarisiertes Licht unpolarisiertes Licht α Traubensäure ist ein nicht optisch ak- tives 50:50-Gemisch (Racemat) der bei- den Formen der Weinsäure. Trauben- säure = Acidum racemicum. Im Saft der Trauben kommt nur die linksdrehende Form der Weinsäure vor. Ihre Salze heißen Tartrate. Der in der Weinflasche oft auftretende kristalline Bodensatz ist Kaliumhydrogentartrat (Weinstein). zur „Traubensäure“ Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=