EL-MO II Moleküle, Schulbuch

80 5 Reaktionsmechanismen Im Unterschied zu vielen anorganischen Reaktionen verlaufen in der organischen Chemie die Reaktionen nicht eindeutig. Meist ent- stehen bei einer organischen Synthese im Labor ein Hauptprodukt und eine Reihe von Nebenprodukten unterschiedlichster Menge und Zusammensetzung. Ziel des Chemikers ist es nun, die Reaktionsbedingungen so zu wählen, dass das gewünschte Produkt in möglichst hoher Ausbeute entsteht oder bestimmte Nebenprodukte, die sehr schwer zu entsorgen sind, vermieden werden, was vor allem bei technischen Synthesen wichtig ist (zB Entstehung chlorierter Dioxine bei der Produktion von Holzschutzmitteln). Bei man- chen Reaktionen können aus denselben Ausgangsstoffen je nach Reaktionsbedingungen als Hauptprodukte sogar völlig verschiede- ne Verbindungen entstehen. Um die Reaktionsbedingungen zu optimieren, ist die Kenntnis des Reaktionsablaufs der organischen Reaktion im Detail, dh. des Reaktionsmechanismus, notwendig. Aus den Reaktionstypen Addition, Substitution, Eliminierung und Umlagerung und der Art der angreifenden Teilchen (Radikale, elek- trophile oder nucleophile Teilchen) ergeben sich eine Reihe von Reaktionsmechanismen. Die wichtigsten werden in diesem Kapitel behandelt. 5.1 SuBsTITuTIONsrEAKTIONEN Radikalische Substitution • Elektrophile Substitution • Nucleophile Substitution Die radikalische Substitution S R Radikalische Substitutionsreaktionen sind – neben der Verbrennung – die wichtigs- ten Reaktionen der Alkane . Die Halogenierung von Alkanen läuft nach dem S R -Me- chanismus ab. Chlorierung von Methan Um Methan in Chlormethan umzuwandeln, wird die Gasmischung aus Methan und Chlor mit UV-Licht bestrahlt. Die Quanten des UV-Lichtes sind energiereich genug, um schwache Bindungen zu spalten. Eine schwache Bindung liegt zwischen den Chlor-Atomen im Chlor-Molekül vor. Bei UV-Einwirkung wird ein Teil der Chlor-Mole- küle in Einzelatome – Chlor-Radikale – gespalten. Dies nennt man den Startschritt der Reaktion (Abb. 80.1). Die Chlor-Radikale sind sehr reaktionsfähige Teilchen, die das Bestreben haben, einen Bindungspartner zu finden. Die Vereinigung zweier Chlorradikale zu einem neuen Chlor-Molekül ist nicht wahrscheinlich, da die Konzen- tration freier Radikale und damit die Stoßwahrscheinlichkeit sehr klein ist. Das Chlor- Radikal stößt also entweder mit einem Chlor-Molekül oder mit einem Methan-Mo- lekül zusammen. Die Reaktion mit einem Chlor-Molekül ändert nichts an der Zusammensetzung. Die Reaktion mit einem Methan-Molekül führt zu HCl und einem Methylradikal (Abb. 80.2). Diese Reaktion kann nur deshalb ablaufen, weil die Bin- dung zwischen Wasserstoff und Chlor etwas fester ist als die Bindung zwischen Wasserstoff und Kohlenstoff. Die Reaktion ist – allerdings schwach – exotherm. Das nun entstandene Methyl-Radikal hat ebenfalls die Tendenz, sich zu stabilisieren, also einen Bindungspartner zu suchen. In diesem Fall bringt die Reaktion mit Methan nichts Neues, es erfolgt eine Reaktion mit dem Chlor-Molekül. Dabei entstehen Chlormethan und ein Chlor-Radikal. Diese Reaktion ist stark exotherm, da eine star- ke Chlor-Kohlenstoff-Bindung gebildet und die schwache Bindung im Chlor-Molekül aufgebrochen wurde. Fast die ganze Energie der Reaktion wird bei diesem zweiten Schritt frei. Das neu gebildete Chlor-Radikal reagiert nun im Sinne der ersten Reaktion weiter. Die zwei Schritte der Radikalreaktion laufen abwechselnd ab. Diese Reaktionen nennt man die Radikalkette. Radikalketten sind nur dann mit nennenswerter Ge- schwindigkeit möglich, wenn jeder Kettenschritt für sich freiwillig und rasch genug abläuft. Erst wenn diese Radikalkette einige hundert- bis tausendmal abgelaufen ist, kommt es zum Kettenabbruch. Dieser findet statt, wenn der unwahrscheinliche Fall des Aufeinandertreffens zweier Radikale eintritt. So werden zwei Ketten abgebrochen (Abb. 80.3). Wann Abbruchschritte stattfinden, ist eine statistische Frage. Die Wahr- scheinlichkeit hängt von der Radikalkonzentration ab. Bei dauernder UV-Bestrahlung gibt es genügend Startschritte, um die Wirkung der Abbruchschritte zu kompensie- ren. Die Produkte der Reaktion sind je nach Chlorkonzentration verschieden stark chlo- rierte Methane. Ist genügend Chlormethan entstanden, so steigt die Wahrschein- lichkeit eines Angriffs eines Chlor-Radikals auf Chlormethan. Die Radikalkette führt Cl Cl Cl Cl [UV] + Cl H C H H H + + H C H H + Cl H H C H H Cl Cl H C H H Cl Cl H C H H Cl Cl Cl C H H H C H H H C H H C H H H H C H H Cl H Cl Cl Abb. 80.1: Radikalbildung – Startreaktion Abb. 80.2: Kettenreaktion Abb. 80.3: Abbruchreaktionen ar5n6v Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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