EL-MO II Moleküle, Schulbuch

63 3.6 chIralItät – SpIegelBIlDIsOMerIe 3.6 ChiraLiTäT – SpiEgELBiLDisomEriE – OpTischE IsomEriE D/L-Konfiguration • R/S-Nomenklatur • Enantiomere • Diastereomere • Optische Aktivität Grundlagen Es gibt Strukturen, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten und räumlich nicht zur Deckung bringen lassen, obwohl sie sonst völlig gleich sind. Rechts- und Links­ schraube derselben Art oder die rechte und die linke Hand sind Beispiele dafür. Sol­ che Strukturen nennt man chiral . (Griech.: cheir = Hand; Abb. 63.1) Auch bei Molekülen gibt es solche chiralen Strukturen (Abb. 63.2). In der organischen Chemie ist der häufigste Fall das Auftreten von asymmetrisch substituierten C-Ato­ men, also von C-Atomen mit vier verschiedenen Substituenten (verkürzt verwendet man auch den Begriff „asymmetrisches C-Atom“). Enthält ein Molekül ein solches C-Atom, so gibt es ein isomeres Molekül dazu, das sich wie das Spiegelbild verhält (Abb. 63.3). Dieses Molekülpaar wird Enantiomerenpaar genannt. (Griech.: enantios = entgegengesetzt) Enantiomere haben mit einer Ausnahme identische physikalische Eigenschaften. Im chemischen Reaktionsverhalten gegenüber nicht chiralen Reaktionspartnern treten auch keine Unterschiede auf (eine gleichartige Rechts- und Linksschraube unter­ scheiden sich in der Masse, Dichte oder im Verhalten gegenüber der Umgebung ohne Gewinde ebenfalls nicht). Gegenüber nicht chiralen Molekülen treten aber große Unterschiede im Reaktions­ verhalten auf (so wie die Rechtsschraube nicht in ein Linksgewinde passt). Die mei­ sten biochemischen Vorgänge verlaufen über chirale Verbindungen. Kohlenhydrate und Aminosäuren – die Bausteine der Eiweißstoffe – sind chiral und kommen in der Natur nur in einer Form vor. Die als Biokatalysatoren wirkenden Enzyme sind als Ei­ weißstoffe ebenfalls chiral und können nur das passende Isomere sinnvoll verwer­ ten. Bei Verbindungen aus der Natur liegt meist nur eine – die richtige Form – vor. Bei Synthesen im Labor entstehen aber oft äquimolare Mischungen des Enantio­ merenpaares, so genannte Racemate (lat.: acidum racemicum = Traubensäure, mit der die erste Racemat-Trennung gelang), da die Wahrscheinlichkeit für die Bildung beider Formen gleich groß ist. Wird eine solche Mischung zB als Medikament gege­ ben, so wirkt die eine Form und die andere wird im günstigsten Falle als unwirksam ausgeschieden. Im Fall des Schlafmittels Contergan war dies leider nicht der Fall. 1958 kam das Medikament auf den Markt. Die chirale Wirksubstanz Thalidomid zeigt in der einen Form die versprochene, beruhigende Wirkung, das Enantiomere wirkt aber teratogen (fruchtschädigend). Tausende Kinder kamen mit Missbildungen der Gliedmaßen auf die Welt, da das teratogene Enantiomere nicht gut genug abge­ trennt war. Das Medikament wurde 1962 verboten. Physikalisch unterscheiden sich Enantiomere nur in ihrem Verhalten gegenüber li­ near polarisiertem Licht. Lässt man Licht durch einen Polarisationsfilter ( Polarisa­ tor ) treten, so enthält man Licht, das nur in einer Ebene schwingt. Ein zweiter um 90° gedrehter Polarisationsfilter (Analysator) bewirkt Auslöschung. Bringt man eine chirale Verbindung zwischen Polarisator und Analysator, so kommt es zur Aufhel­ lung. Chirale Verbindungen drehen die Polarisationsebene von linear polarisiertem Licht. Eine Form dreht nach links, die andere (bei gleicher Konzentration) gleich stark nach rechts. Chirale Substanzen bezeichnet man daher als optisch aktiv. Die Isome­ rieform nennt man auch optische Isomerie . Die Messung der Drehung erfolgt im Polarimeter (Abb. 63.4). Ein Racemat dreht die Polarisationsebene natürlich nicht, da sich die Wirkung beider Enantiomere aufhebt. Die Vermutung, dass optische Aktivität auf ein asymmetrisches C-Atom zurückgeht, stellten die Physiker und Chemiker Jacobus Hendricus van’t Hoff (1852–1911) und Achille Le Bel (1857–1930) unabhängig voneinander 1874 auf. Dem französischen Chemiker Louis Pasteur (1822–1895) gelang erstmals die Trennung des Racemates der optisch aktiven Weinsäure. Eine exakte Aufklärung der Strukturen gelang erst 1920 durch die Röntgenstrukturanalyse. asymmetrisches C-Atom * * COOH C H OH CH 3 HOOC C HO H H 3 C Analysator Polarisator Probe gedrehtes linear polarisiertes Licht Drehwinkel linear polarisiertes Licht unpolarisiertes Licht α Abb. 63.1: Chirale Hände Abb. 63.4: Schema eines Polarimeters Abb. 63.2: Modelle chiraler Milchsäuremoleküle Abb. 63.3: Strukturformeln chiraler Milchsäure- moleküle Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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