EL-MO I Elemente, Schulbuch

Text und Interpretation 74 74 Sexualchemie: Stickstoffmonoxid „In spring a young man´s fancy lightly turns to thoughts of love.“ So schrieb 1842 Lord Tennyson in seinem Gedicht Locksley Hall. Heute allerdings wissen wir, dass junge Män- ner wenigstens viermal in der Stunde an Sex denken, und nicht etwa nur im Frühling! Doch wann und wie oft ein Mann auch immer von Liebe träumt - will er seine Phan- tasien in die Tat umsetzen, so müssen seine Gedanken die Bildung des Moleküls Stickstoffmonoxid auslösen. [...] Stickstoffmonoxid dient in unserem Körper zur Muskelent- spannung, zur Abtötung fremder Zellen und zur Stärkung des Gedächtnisses. Durch die Entspannung der Muskeln der Blutgefäße bekämpft Stickstoffmonoxid Anginaan- fälle älterer Menschen. Im Falle unseres jungen Mannes bewirkt die Ausschüttung des Moleküls eine Erektion. Ero- tische Gedanken und Reize senden ein Signal an die Ner- ven des Corpus cavernosum, den Schwellkörper des Penis, welcher dann Stickstoffmonoxid freisetzt. Dies bewirkt eine Muskelerschlaffung, so dass das Blut in das Gewebe eindringt und es anschwellen lässt. Erst 1991 wurde die- se Rolle des Stickstoffmonoxids an der Universitätsklinik Lund in Schweden entdeckt. Die Erkenntnis änderte unsere Einstellung zu diesem merkwürdigen Molekül, das bis 1987 nur als der sauren Regen verursachende Umweltverschmutzer aus Autoabgasen angesehen wurde. Der Nach- weis dieser Verbindung im menschlichen Stoffwechsel hat allgemein überrascht. Selbst wenn man es vorher vermutet hätte, die chemische Natur des Moleküls hätte dem widersprochen, denn Stickstoff- monoxid ist ein hochreaktives freies Radikal - es besitzt ein ungepaartes Elektron. Derartige Moleküle leben in der Regel nur einen Bruchteil einer Sekunde lang; Stickstoffmonoxid selbst ist zwar stabil, bringt man es aber mit einem anderen Molekül zusammen, findet mit ziemlich großer Wahrschein- lichkeit sofort eine Reaktion statt. Im Labor ist das Gas leicht herzustellen: Man gibt Kupferspäne in ein Gefäß mit verdünnter Salpe- tersäure und fängt das entweichende farblose Gas über Wasser auf. So verhindert man, dass es mit Luftsauerstoff in Kontakt kommt, mit welchem es bereitwillig zu braunen Dämpfen des sauren Gases Stickstoffdioxid abreagiert. Stickstoffmonoxid ist schon seit über 200 Jahren bekannt; ein Versuch es einzuatmen, hätte den großen Chemiker Sir Humphrey Davy im Jahre 1800 fast das Leben gekostet. [...] NO wird durch Zellen an der Innenseite von Blutgefäßen freigesetzt und entspannt die nahegele- genen Muskelzellen, wodurch der Blutdruck absinkt. [...] Die in unserem Körper reichlich vorhandene Aminosäure Arginin ist der Ausgangsstoff der NO-Synthese. Plötzlich kannte man die Wirkungsweise einer ganzen Familie von Medikamenten, darunter Amylnitrit und Nitroglycerin, die eine schmerzhafte Anginaattacke aufhalten können: Sie setzen NO frei, die verengten Gefäße erweitern sich wieder, und Blut und Sauerstoff können ungehindert zum Herzen gelangen. [...] Eine zweite Aufgabe von NO ist der Schutz unseres Organismus vor unerwünschten Eindringlingen. Mikrophagen sind Blutzellen, die nach Fremdpartikeln wie Bakterien oder mutierten Zellen Ausschau halten und sie durch Injektion einer tödlichen Dosis NO zerstören. Gelegentlich sind die Mikrophagen übermäßig aktiv und produzieren zu viel NO, schlimmstenfalls in lebensbedrohlichen Mengen. Eine der wichtigsten Todesursachen von Patienten in der Intensivtherapie ist der septische Schock: Der Körper stellt große Mengen von NO her, um die Infektion abzuwehren, wodurch der Blutdruck weit absinken kann. [...] N O Nur zu Prüfz ecken – Eigentum des Verlags öbv

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