Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Graß, Raum und Zahl – Zusammenhänge zwischen Raumvorstellung und Arithmetik 333 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 rübergehende Speicherung und Bearbeitung von Gedächtnisinhalten zuständig ( Baddeley 1986). Gemäß dem populären Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley (1986; 2000) koordi- niert eine sogenannte zentrale Exekutive die Aktivitäten zweier Speichersysteme, von de- nen eines verbal-phonologisches Material und das andere visuell-räumliches Material ver- arbeitet. Insbesondere beim Kopfrechnen spielt die zentrale Exekutive eine wesentliche Rolle. Geht es nämlich nicht bloß um das Wiedergeben von Gedächtnisinhalten (Faktenab- ruf), sondern um die Bearbeitung des Inhalts, wie es beim Kopfrechnen der Fall ist, so ge- schieht dies in der zentralen Exekutive. Dort wird die Bearbeitung durchgeführt und über- wacht ( Landerl und Kaufmann 2013, S. 121). Über Assoziationen zwischen Raumvorstellung und Rechenleistung wird zudem auf- grund der Abhängigkeit einer räumlichen Kodierung des visuell-räumlichen Arbeitsge- dächtnisses, der räumlich-selektiven Aufmerksamkeit ( Klingberg 2012) sowie der Arithmetik ( Hubbard et al. 2005; Knops et al. 2009) berichtet. Außerdem wird das visuell-räumliche Ar- beitsgedächtnis explizit mit Leistungen beim Kopfrechnen ( Kyttälä 2003; Hubbard et al. 2005; Knops et al. 2009), beim Anordnen von Zahlen auf dem Zahlenstrahl ( Geary et al. 2007) sowie beim nonverbalen Problemlösen ( Rasmussen & Bisanz 2005) und generell mit Mathematikleistung ( Alloway & Passolunghi 2011; Gathercole & Pickernig 2000; Meyer et al. 2010; Raghubar, Barnes & Hecht , 2010) in Verbindung gebracht. Meyer und Kollegen (2010) zeigten, dass mathematische Leistungen gemessen durch den WIAT-II ( Wechsler 2001) in der zweiten Schulstufe zwar noch stark mit dem verbal- phonologischen Arbeitsgedächtnis und der zentralen Exekutive korrelieren, in der 3. Schul- stufe jedoch das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis an Bedeutung gewinnt. Während das verbal-phonologische Arbeitsgedächtnis und die zentrale Exekutive die Leistungen im Sub- test „Mathematical Reasoning“ in der 2. Klasse vorhersagen, gilt in der 3. Klasse das visuell- räumliche Arbeitsgedächtnis sowohl für den Subtest „Mathematical Reasoning“ als auch für „Numerical Operations“, wo unter anderem die 4 Grundrechnungsarten abgefragt wer- den, als Prädiktor ( Meyer et al. 2010). Auch bei Alloway und Passolunghi (2011) zeigten sich ähnliche Resultate, während bei 7-jährigen Grundschulkindern noch das verbal-phonologi- sche Arbeitsgedächtnis und die zentrale Exekutive prädiktiv valide für gute Mathema- tikleistungen waren, konnte bei den 8-Jährigen das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis als wesentlich stärkerer Prädiktor herausgestellt werden. Auch sei ein Zusammenhang zu unserem ersten Erklärungsansatz erwähnt. Die Befunde von Meyer und Kollegen (2010) zeigen, dass die Entwicklung des inneren Zahlenstrahls durch eine Kombination aus Intelligenz, zentraler Exekutive und visuell-räumlichem Ar- beitsspeicher beeinflusst wird. Da der visuell-räumliche Arbeitsspeicher maßgeblich an unserer Raumvorstellung (Wür- feldrehen, gedankliches Falten, Kopfgeometrie etc.) beteiligt ist, kann konstatiert werden, dass es durch die oben beschriebenen Einflüsse des visuell-räumlichen Arbeitsspeichers auf den mentalen Zahlenstrahl, auf das Kopfrechnen sowie auf Rechenleistungen im All- gemeinen einen weiteren, domänenübergreifenden Zusammenhang zwischen Raumvor- stellung und Arithmetik gibt. Neurowissenschaftliche Befunde Zur Erforschung der Zahlenverarbeitung und insbesondere auch zur Entwicklung des Trip- le-Code-Modells trugen neurowissenschaftliche Methoden wesentlich bei. Die klassische Neuropsychologie hat dabei stark von den technischen Fortschritten bildgebender Verfah- ren in den letzten zwei Jahrzehnten profitiert. Hervorzuheben ist hier insbesondere die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), die es erlaubt in tiefere Gehirnregionen
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